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Genetische Methoden ermöglichen die Nutzung fossiler Lipide als Biomarker für sauerstoffproduzierende Ur-Bakterien

26.10.2023
Neue Studie in Nature Ecology & Evolution liefert wichtige Grundlage für die Entschlüsselung der Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde
Nahaufnahme einer Bohrkernprobe: Die ältesten Proben sind Bohrkernproben aus dem 1,6 Milliarden Jahre alten McArthur-Becken in Nordaustralien. Sie gehören zu den ältesten bisher bekannten Biomarker-Proben und enthalten die Information über die Primärproduktion durch photosynthetische Organismen zu dieser Zeit. Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen; B. Nettersheim
Nahaufnahme einer Bohrkernprobe: Die ältesten Proben sind Bohrkernproben aus dem 1,6 Milliarden Jahre alten McArthur-Becken in Nordaustralien. Sie gehören zu den ältesten bisher bekannten Biomarker-Proben und enthalten die Information über die Primärproduktion durch photosynthetische Organismen zu dieser Zeit. Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen; B. Nettersheim

Cyanobakterien sind eine Schlüsselart in der Erdgeschichte, da sie als erste Lebewesen molekularen Sauerstoff freisetzten. Der reicherte sich über Jahrmillionen in der Atmosphäre an und ermöglichte so erst die Entwicklung komplexen Lebens. Die Analyse der Cyanobakterien gibt daher wichtige Einblicke, wie moderne, sauerstoffreiche Ökosysteme, die wir kennen, entstanden sind. Hierfür wurde lange Zeit eine bestimmte Art fossiler Lipide, sogenannte 2-Methylhopane, als wichtiger Biomarker in teils hunderte Millionen Jahre alten Sedimenten angesehen. Das geriet jedoch in Zweifel, als sich herausstellte, dass nicht nur Cyanobakterien sondern auch Alphaproteobakterien genetisch in der Lage sind, diese Lipide zu produzieren. 

Ein internationales Forschungsteam um Benjamin Nettersheim vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, Yosuke Hoshino und Christian Hallmann vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) hat nun die stammesgeschichtliche Entwicklung und Verbreitung einiger Gene untersucht, die für die Synthese des Lipids 2-Methylhopan verantwortlich sind: Die Forschenden haben entschlüsselt, wann diese Gene von bestimmten Gruppen von Organismen erworben wurden. So konnten sie zeigen, dass bestimmte Gene wahrscheinlich schon im letzten gemeinsamen Vorfahren der Cyanobakterien vor über zwei Milliarden Jahren vorhanden war, während das Gen HpnP in den Alphaproteobakterien erst vor etwa 750 Millionen Jahren auftauchte. Für die Zeiten davor können 2-Methylhopane also weiter als eindeutiger Biomarker für sauerstoffproduzierende Cyanobakterien dienen. Alle drei Autoren haben zuvor gemeinsam am MARUM gearbeitet.

Die jetzt im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution veröffentlichte Studie zeigt, wie die Genetik im Zusammenspiel mit Sedimentologie, Paläobiologie und Geochemie den diagnostischen Wert von Biomarkern verbessern und die Rekonstruktion der frühen Ökosysteme verfeinern kann. „Das frühe Leben hat nur wenige und oft kryptische Spuren hinterlassen“, sagt Benjamin Nettersheim, „aber wissenschaftlicher Fortschritt und die Kombination unterschiedlicher Analysemethoden über traditionelle Fachgrenzen hinweg ermöglichen nun neue, spannende Einblicke in die gemeinsame Entwicklung des Planeten und Lebens zu einer Welt die von immer komplexeren Lebewesen wie Tieren bevölkert werden konnte.“

Hintergrund: Die Bedeutung von Cyanobakterien in der Erdgeschichte
Cyanobakterien spielten eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung der Erde von ihrem anfänglichen sauerstofflosen Zustand in ein modernes, sauerstoffreiches System, in dem zunehmend komplexes Leben möglich wurde. Cyanobakterien waren vermutlich über weite Strecken des Präkambriums, die ersten rund vier Milliarden Jahre der Erdgeschichte, von den Anfängen bis etwa vor 540 Millionen Jahren, die einzige relevante Gruppe von Organismen —sogenannte Primärproduzenten, die anorganische in organische Substanzen umwandelte und dabei Sauerstoff produzierte. Daher ist die Analyse ihrer evolutionären Entwicklung von großer Bedeutung für das Verständnis der gemeinsamen Geschichte von Leben und Erde.

Neuer Ansatz: Umfassende genetische Analyse kombiniert mit neuen, hochreinen Sedimentanalysen
Ein internationales Forschungsteam, zu dem auch Benjamin Nettersheim gehört, hat nun systematisch untersucht, welche Organismen außer Cyanobakterien die für die Produktion von 2-Methylhopanoid notwendigen Gene mit der Abkürzung SC und HpnP besitzen und wann sie sie im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte erworben haben. Auf diese Weise konnte das Team zeigen, dass das fossile Lipid 2-Methylhopan für die Zeiten, die mehr als 750 Millionen Jahre zurückliegen, auch weiter als eindeutiger Biomarker für die Existenz von Cyanobakterien genutzt werden kann.

Darüber hinaus haben die Forschenden eine integrierte Darstellung der 2-Methylhopan-Produktion im Laufe der Erdgeschichte erstellt. Hierfür kombinierten sie ihre molekularen Daten mit neuen, unter hochreinen Bedingungen durchgeführten Sedimentanalysen. Laut Benjamin Nettersheim „ist es diese Kombination von modernen molekularbiologischen Methoden mit neuen Wegen der geochemischen Analyse von fossilen biologischen Molekülen die nur in Spuren-Konzentrationen in alten Sedimentgesteinen vorkommen, die vollkommene neue Einblicke in frühe Ökosysteme ermöglicht“.

„Die von uns vorgeschlagene Methode ist im Prinzip auf jede organische Substanz in geologischen Archiven anwendbar und hat ein großes Potenzial, die evolutionäre Entwicklung verschiedener Ökosysteme mit deutlich höherer zeitlicher und räumlicher Auflösung als bisher zu verfolgen“, resümiert Erstautor Yosuke Hoshino.

Die Ergebnisse im Einzelnen
Es gibt viele Bakterien, die SC- und HpnP-Gene besitzen, in der Hauptsache sind dies aber Cyanobakterien und Alphaproteobakterien. Es zeigte sich, dass beide Gruppen die SC- und HpnP-Gene unabhängig voneinander erworben haben. Das steht im Gegensatz zu früheren Studien, die zu dem Schluss kamen, dass Cyanobakterien diese Gene von Alphaproteobakterien in einem späten Stadium ihrer Evolution erworben haben.

Die neue Studie ergab ferner, dass der gemeinsame Vorfahre der Cyanobakterien beide Gene bereits vor mehr als 2,4 Milliarden Jahren besaß, als sich während der sogenannten Großen Sauerstoffkatastrophe Sauerstoff in der Atmosphäre anzureichern begann.

Dagegen haben Alphaproteobakterien die SC- und HpnP-Gene frühestens vor etwa 750 Millionen Jahren erworben. Davor wurden 2-Methylhopanoide folglich praktisch nur von Cyanobakterien produziert.
Die Forschenden interpretieren einen leicht verzögerten Anstieg der 2-Methylhopane in den Sedimenten vor etwa 600 Millionen Jahren als Zeichen für die globale Ausbreitung der Alphaproteobakterien, die möglicherweise den gleichzeitigen evolutionären Aufstieg der eukaryotischen Algen begünstigt hat.

 

Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.

Originalpublikation:

Yosuke Hoshino, Benjamin J. Nettersheim, David A. Gold, Christian Hallmann, Galina Vinnichenko, Lennart M. van Maldegem, Caleb Bishop, Jochen J. Brocks & Eric A. Gaucher, 2023
Genetics re-establish the utility of 2-methylhopanes as cyanobacterial biomarkers before 750 million years ago. Nature Ecology & Evolution
DOI: 10.1038/s41559-023-02223-5

Pressemitteilung des Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ 

 

 

Dr. Yosuke Hoshino führt biologische Analysen im Rahmen der Studie durch. Foto: privat
Dr. Yosuke Hoshino führt biologische Analysen im Rahmen der Studie durch.
Foto: privat

 

Kontakt: 

Dr. Benjamin Nettersheim
Organische Geochemie
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
Telefon: +49 421 218-65710
E-Mail: [Bitte aktivieren Sie Javascript]

Dr. Yosuke Hoshino
Sektion 3.2 „Organische Geochemie
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Phone: +49 331 6264-2859
Email: [Bitte aktivieren Sie Javascript]

Prof. Christian Hallmann
Leitung Sektion 3.2 Organische Geochemie
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 6462-1733
E-mail: [Bitte aktivieren Sie Javascript]