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Logbuch MSM 111

MARIA S. MERIAN mit Kurs auf die Baffin Bay

Das Forschungsschiff MARIA S. MERIAN ist am 2. September in See gestochen. Ihr Ziel auf der Expedition MSM 111 ist die Baffin Bay, gelegen zwischen Grönland und Kanada. Mit an Bord sind Fahrtleiter Michal Kucera vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und 22 Forschende des MARUM, des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, der Universität Aarhus (Dänemark), des GEOTOP der Université du Québec à Montréal (Kanada) und der Universität Tübingen.

Ihr Forschungsziel ist es, Aufzeichnungen des letzten Kollapses der grönländischen Eiskappe in Meeressedimenten vor Grönland mit Hilfe einzigartiger Bohrtechnologie zu erreichen. Daten über die Teilkollapse der Eiskappe aus den letzten beiden Warmzeiten vor 130.000 und 420.000 Jahren helfen Forschenden, die Stabilität und das Abschmelzverhalten der größten Eismasse in der Nördlichen Hemisphäre in einem künftigen wärmeren Erdklima zu erforschen. Das neue Klimaarchiv soll es dem wissenschaftlichen Team ermöglichen, zu untersuchen, wie Eisschildkollaps, ozeanische Zirkulation und die Veränderungen der marinen Umwelt in der Baffin Bay, in die die meisten Eisströme Grönlands münden, zusammenhängen.

Logo der Expedition MSM 111

Die MARIA S. MERIAN im Hafen von Reykjavik. Foto: MARUM, V. Diekamp
Die MARIA S. MERIAN im Hafen von Reykjavik. Foto: MARUM, V. Diekamp

Während der rund 30 Tage andauernden Ausfahrt wird dafür das Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo 200 eingesetzt. So kann das Team tief genug in den Kontinentalhang der Baffin Bay bohren, um die entsprechenden Zeitintervalle in Sedimentkernen zu bergen. Daneben werden Wasserproben sowie Plankton und Sedimentmaterial gesammelt.

Die Fahrt ist Teil des Forschungsprogramms im Exzellenzcluster der Universität Bremen „Der Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“, der am MARUM angesiedelt ist.

Hier berichten die Forscherinnen und Forscher in einem Logbuch vom Leben und Arbeiten an Bord.

 

Link zur aktuellen Position des FS MARIA S. MERIAN

Einen aktuellen Einblick an Bord gibt es auch auf dem MARUM-Instagram-Kanal.

 

1.9.2022, Reykjavik – die Reise beginnt

Am 29. August vormittags, nach der abgeschlossenen Expedition MSM110, legte die MARIA S.  MERIAN im Hafen von Reykjavik im Südwesten Islands an. In fußläufiger Entfernung vom Stadtzentrum wartete das Schiff auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der neuen Expedition MSM111. Die ersten Eindrücke unserer Expedition gehörten damit der sagenumwobenen Insel und ihrer Hauptstadt.

 

Sonnenfahrt, Skulptur von Jón Gunnar Árnason am Kai der Stadt Reykjavik. Foto: R.Morard
Sonnenfahrt, Skulptur von Jón Gunnar Árnason am Kai der Stadt Reykjavik. Foto: R.Morard

Die geologische einzigartige Insel ist die Heimat zahlreicher Vulkane und Störungszonen entlang ihres südwest-nordost Verlaufes. Sie ist aus geowissenschaftlicher Sicht eine der Interessantesten weltweit, da sie auf eine tektonischen Plattengrenze liegt. Genau hier verläuft die Grenze zwischen der eurasischen und amerikanischen Platte, eine Grenzfläche, die sich sonst nur am Ozeanboden erkunden lässt, wo sie sich als ein mittelozeanischer Rücken durch den gesamten Atlantik erstreckt. Das Auseinanderdriften der zwei Platten sorgt für die spektakuläre vulkanische Landschaft Islands und führt dazu, dass die Insel in ihrer Mitte um etwa zwei Zentimeter im Jahr wächst.

Plattengrenze in Reykjanes. Foto: R.Morard
Plattengrenze in Reykjanes. Foto: R.Morard

Bevor unsere Expedition anfing, konnten einige von uns die geologische Landschaft im Südwesten auf der Halbinsel Reykjanes erkunden. Auch die Stadt Reykjavik konnten wir besuchen, wobei die erste Sehenswürdigkeit direkt von Bord des Schiffes aus betrachtet werden konnte: Die Harpa, das 2011 eröffnete Orchestergebäude für Konzerte, Opern, Theaterstücke und Filmveranstaltungen.

Operngebäude Harpa am Kai neben der MSM. Foto:  T.v.Dobeneck
Operngebäude Harpa am Kai neben der MSM. Foto: T.v.Dobeneck
Gullborg, Museumsschiff im Hafen von Reykjavik. Foto: R.Morard
Gullborg, Museumsschiff im Hafen von Reykjavik. Foto: R.Morard
Straßen von Reykjavik. Foto: R.Morard
Straßen von Reykjavik. Foto: R.Morard
Hallmgrimskirkja mit Leif Erikson auf dem Vorplatz. Foto: A.Janssen
Hallmgrimskirkja mit Leif Erikson auf dem Vorplatz. Foto: A.Janssen

Eine weitere Sehenswürdigkeit ragt im Schatten der Stadt ebenfalls auf, die Hallmgrimskirkja (Kirche Hallgrimurs), mit 74,5 Metern ist auch sie vom Hafen über den Häusern zu sehen. Anschließend lädt die Haupteinkaufsstraße Laugavegur zu einem Spaziergang ein mit vielen Souvenirläden, Outdoor- und Wintergeschäften und vielen hübsch und individuell gestalteten Restaurants. Die Straßen und Gebäude sind an vielen Stellen künstlerisch geschmückt, Plakate und Aushänge weisen auf verschiedene Veranstaltungen in der Harpa, den heimischen Kinos oder Kneipen hin.

Auf dem Weg zurück zum Schiff kommt man im Hafengelände an vielen Schiffen als Museumsstücken vorbei, bevor im Hintergrund am Kai die MARIA S.  MERIAN im Abendlicht aufleuchtet.

Text von Anjuly Janßen

3.9.2022, Sedimentkerne - Archive der Geschichte des Meeres

Der Meeresboden des Nordatlantiks ist ein einzigartiges Archiv der Geschichte des Ozeans. Die langsam abgelagerten Schichten des Schlamms beinhalten Aufzeichnungen aus der Zeit seiner Entstehung: mikroskopische Schalen des Planktons, chemische Fingerabdrücke der Temperatur und des Salzgehalts des Meeres, Vulkanaschen und Sandkörner, die mit Eisbergen transportiert wurden. Aus solchen Archiven können wir den Wechsel der Eiszeiten und Warmzeiten entziffern und den Einfluss des Klimawandels auf das Leben im Meer untersuchen. Solche Klimaarchive aus dem Meeresboden zu gewinnen ist das Hauptziel der Expedition MSM111.

Ein Schwerelot. Foto: Raphael Morard
Ein Schwerelot. Foto: Raphael Morard

Gleich am zweiten Tag der Reise war es unsere Aufgabe, Meeressedimente aus der letzten Warmzeit vor Island zu beproben. Diese werden gemeinsam mit Kollegen aus dem GLOBE Institut in Kopenhagen und deren isländischen Partnern untersucht, um die Bedingungen im Ozean vor Island zu einer Zeit, in der das Klima um zwei Grad wärmer war als heute, zu rekonstruieren. Aus dem Sediment sollte alte DNA gewonnen werden, welche die Zusammensetzung des marinen Ökosystems wiedergeben soll. Nur – wir kommt man an die Sedimentschichten ran? Die Meeresgeologen haben dafür verschiedene Geräte entwickelt, mit welchem aus den Schichten kleine Proben entnommen werden. Eines der Geräte, das wir auf unserer Expedition nutzen, ist das Schwerelot. Es ist ein einfaches, aber zuverlässiges Gerät, das aus einem Gewicht und einem langem Metallrohr besteht. Es wird vom Schiff auf einem Stahlseil zu Meeresboden gelassen, dringt in die weichen Sedimente ein, wobei es sich mit Sediment füllt, das in dem Rohr bleibt, sodass beim Bergen ein Sedimentkern gewonnen wird. Um das Gerät wieder an Deck zu bringen, wird das Schwerelot außerhalb des Schiffes in einem Gestell gesichert und in die Horizontale gedreht, sodass es an Deck liegend eingeholt werden kann.

Das Schwerelot an der Seite des Schiffes. Foto: Katharina Streuff
Das Schwerelot an der Seite des Schiffes. Foto: Katharina Streuff
Der Einsatz wird im Geolabor überwacht. Foto: Raphael Morard
Der Einsatz wird im Geolabor überwacht. Foto: Raphael Morard

Gleich auf der ersten Station am 3. September haben wir so zuerst einen zwölf Meter langen Sedimentkern gewonnen. Da das Lot beinahe komplett in das Sediment eingedrungen ist, haben wir versucht, einen noch längeren Kern zu gewinnen und das Lot mit drei verbundenen Rohren auf 18 Meter verlängert. Der Einsatz des Schwerelots wird durch das Ablesen der Zugkraft, die auf dem Seil wirkt, gesteuert. Trifft das Schwerelot das Meeresboden, wird der Seil entlastet und beim Hieven kann der Kern herausgezogen werden. Dafür steigt die Zugkraft zuerst sehr stark, denn das Lot ist nun voll und schwer und steck darüber hinaus noch im Schlamm. Eine kleine Entlastung zeigt dann an, dass das Lot nun aus dem Sediment frei ist. Beim Einsatz des 18 Meter-Schwerelots wurden wir mit einer abweichenden Sequenz in der Zugkraftanzeige konfrontiert, die nichts Gutes erahnen ließ. Erst nachdem der Kern wieder am Bord war, konnten wir den Vorgang genau rekonstruieren.

Ein unglücklich in der Mitte des Rohrs geknicktes 18 m Schwerelot zurück an Bord. Foto: V.Diekamp.
Ein unglücklich in der Mitte des Rohrs geknicktes 18 m Schwerelot zurück an Bord. Foto: V.Diekamp.
Die Bohrung brachte vulkanisches Gestein im Core Catcher zu Tage. Foto: V.Diekamp.
Die Bohrung brachte vulkanisches Gestein im Core Catcher zu Tage. Foto: V.Diekamp.

Das Lot hat den Meeresboden genau wie geplant senkrecht getroffen und ist ohne Schwierigkeiten in etwa sechs Meter Tiefe eingedrungen. Dort traf es aber auf eine harte Schicht aus vulkanischem Material, eine grobe Aschenlage oder sogar einen verwitterten Block Lava. Das Lot konnte nicht weiter eindringen und die ganze Wucht des Aufpralls musste vom Metall der Rohre abgefangen werden. Das dicke Metallrohr verbog sich wie Butter, bis das Gewicht am Meeresboden lag.

Beim zurückziehen wurde das Rohr zuerst wieder gerade gebogen, wobei es auf der Biegstelle fast auseinanderbrach. Zum Glück konnten wir das Unglückslot gut bergen und den heilen sechs Meter-Kern unbeschadet sichern. Auf der zweiten Station haben wir dann wieder mit einem gut gelungenen Einsatz des zwölf Meter-Lote einen fast zehn Meter langen Kern gewonnen.

Text von Michal Kucera und Hartmut Schulz

Erfolgreiches Lot. Foto: Raphael Morard
Erfolgreiches Lot. Foto: Raphael Morard

7.9.2022, Abstecher in den Ikersuaq Fjord

Der Ikersuaq Fjord in Süd-West-Grönland. Foto: Raphael Morard
Der Ikersuaq Fjord in Süd-West-Grönland. Foto: Raphael Morard

 

Am fünften Morgen auf See sind wir zur (bis jetzt) besten Aussicht aufgewacht. Der Ikersuaq Fjord in SW Grönland erstreckt sich etwa 100 Kilometer in nordöstlicher Richtung von der Labrador See landeinwärts. Mehrere Gletscher des grönländischen Eisschildes enden in Seitenarmen an der nordwestlichen Flanke und am nördlichen Ende des Fjordes, der von Eisbergen nur so wimmelt.

Das Schwerelot wird gesäubert. Foto: Raphael Morard
Das Schwerelot wird gesäubert. Foto: Raphael Morard

Unser Ziel war eine Station im Narsaq Sound, der den Ikersuaq Fjord mit dem benachbarten Fjord verbindet. Hier wurde bereits in 2006 auf der Galathea 3-Expedition ein erfolgreicher Schwerlot-Kern gezogen. Der 557 Zentimeter lange Kern beinhaltet etwa 8.000 Jahre holozäne Sedimente, die Informationen über die Aktivität und Ausdehnung der lokalen Gletscher und den Wassermassenaustauch mit der Labrador See geliefert haben (Nørgaard-Pedersen and Mikkelsen, 2009).

In einer Wassertiefe von circa 270 Metern haben wir erfolgreich elf „multi-cores“ (ca. 30 Zentimeter lang) und ein etwa zehn Meter langes Schwerlot gezogen. Die Kerne helfen dabei, die ozeanografischen und klimatischen Bedingungen in SW Grönland weiter zu verstehen, sowie die Siedlungsgeschichte der Region näher zu beleuchten, da die Region um die Ortschaft Narsaq Teil der Ostsiedlung war, eine nordische Kolonie von ca. 985-1450 CE.

Kritisch wird der frisch gewonnene Kern begutachtet. Foto: Raphael Morard
Kritisch wird der frisch gewonnene Kern begutachtet. Foto: Raphael Morard

Nach getaner Arbeit wurden wir mit strahlendem Sonnenschein und einem Sonnenuntergang über den Bergen der grönländischen Fjorde belohnt. Alles in allem ein sehr erfolgreicher Tag. Weiter geht’s.

Text von Henrieka Detlef.

 

Sonnenuntergang über den Bergen der grönländischen Fjorde. Foto: Raphael Morard
Sonnenuntergang über den Bergen der grönländischen Fjorde. Foto: Raphael Morard

9.9.2022, All we need is 'Schlamm'

... oder warum Multicorers (MUC) beim Untersuchen von Kohlenstoffspeicherung und Umweltveränderungen begeistern.

 

Der wichtigste natürliche Weg, um die CO2-Menge in der Atmosphäre für lange Zeit zu reduzieren, ist die Speicherung von Kohlenstoff in den Sedimenten der Erde. Diese Speicherung erfolgt, wenn Lebewesen wie Phytoplankton absterben und auf das Sediment des Meeresbodens sinken. Ein kleiner Teil des Kohlenstoffs wird begraben und in den Sedimenten des Ozeans gespeichert. 

Der Multicorer kommt mit mit Sedimenten gefüllten Schläuchen an Deck an. Foto von Johan C. Faust
Der Multicorer kommt mit mit Sedimenten gefüllten Schläuchen an Deck an. Foto von Johan C. Faust

 

Sobald er vergraben ist, kann er nicht mehr in die Atmosphäre gelangen. Da die Ozeane mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, hat dieser Prozess einen enormen Einfluss auf den Kohlenstoffkreislauf. Er ist ein sehr wichtiger Mechanismus, der seit Milliarden von Jahren die CO2-Konzentration in der Atmosphäre und damit die Temperatur der Erde reguliert.

Der derzeitige Klimawandel führt dazu, dass die Lufttemperaturen in der Arktis etwa doppelt so schnell ansteigen wie die Durchschnittstemperaturen im Rest der Welt. Die steigenden Temperaturen in der arktischen Region lösen eine dramatische Umweltveränderung aus, die sich auf die Einlagerung von Kohlenstoff in arktischen Meeressedimenten auswirkt. Da das CO2 in der Atmosphäre gleichmäßig über die ganze Welt verteilt ist, wirken sich Veränderungen im arktischen Kohlenstoffkreislauf auf den gesamten Planeten aus. Daher sind Veränderungen in der Menge des vergrabenen Kohlenstoffs in der Arktis und Subarktis auch für die ganze Welt von Bedeutung. 

Abladen der Sedimentkerne aus dem Multicorer. Ein nasser und schlammiger Prozess. Foto von Raphael Morard.
Abladen der Sedimentkerne aus dem Multicorer. Ein nasser und schlammiger Prozess. Foto von Raphael Morard.

Um die kritische Rolle des arktischen Kohlenstoffkreislaufs besser zu verstehen und die laufenden Umweltveränderungen zu bewerten, ist die Bergung der ersten Zentimeter von Sedimenten vom Meeresboden ein wichtiger Bestandteil unserer MSM111-Expedition.

Die Sedimentkerne werden visuell inspiziert, vermessen und zwischen den Forschern an Bord aufgeteilt.
Die Sedimentkerne werden visuell inspiziert, vermessen und zwischen den Forschern an Bord aufgeteilt.

Dazu verwenden wir einen sogenannten Multicorer. Das Gerät besteht aus einem Schlitten mit mehreren Positionen für 12 Entkernungsrohre, der in einem Rahmen mit mehreren Füßen installiert ist, um sanft auf dem Meeresboden zu landen. Der Multicorer ist speziell für die Bergung der oberen Sedimente, einschließlich der Sediment-Wasser-Grenzfläche, konzipiert, ohne diese zu stören.

 

Das Sediment jedes Kernrohrs wird durch Extrusion Zentimeter für Zentimeter entnommen, um sehr detaillierte Studien durchzuführen. Während der MSM111-Expedition nehmen wir Proben für weitere Analysen der Mikrofossilien, des organischen Kohlenstoffgehalts, des palynologischen Gehalts, der Elementzusammensetzung, der alten DNA, des Porenwassers und der Verschmutzungsbewertung.

 

Text von Johan C. Faust und Anne de Vernal.

 Ein Sedimentkern wird in 0,5 bis 1 cm große Stücke geschnitten, in Probenahmebeutel gefüllt und für die weitere Analyse an Land vorbereitet.
Ein Sedimentkern wird in 0,5 bis 1 cm große Stücke geschnitten, in Probenahmebeutel gefüllt und für die weitere Analyse an Land vorbereitet.

17.9.2022, Was nach unten sinkt, kommt von oben!

Untersuchung der Planktongemeinschaft mit Hilfe von Planktonschleppnetzen.

 

Planktonschleppnetz, das aus der Wassersäule zurückkommt. Foto von Raphaël Morard
Planktonschleppnetz, das aus der Wassersäule zurückkommt. Foto von Raphaël Morard

Wie bereits im letzten Beitrag unserer Kollegen Johan Faust und Anne de Vernal zum Thema Multicorer erläutert, spielen Planktonorganismen eine Schlüsselrolle bei der Bindung und Abgabe von Kohlenstoff von der Meeresoberfläche an das Sediment. Unter all den vielfältigen Organismen, die im Plankton vorkommen, interessieren wir uns besonders für eine Gruppe: die planktischen Foraminiferen. Planktonische Foraminiferen sind einzellige zooplanktonische Organismen, die im oberen Ozean (meist in den obersten 100 Metern) eine Kalzitschale ausscheiden. Wenn sie sterben, sinkt ihr Kalzitskelett auf den Meeresboden, wo sie versteinern, wobei eine für uns spannende Botschaft in ihrer Schale gespeichert wird: die der Umgebung, in der sie verkalkt sind.

Das Multinetz trifft an Bord ein und alle fünf Netze werden mit Meerwasser gespült. Foto von Volker Diekamp
Das Multinetz trifft an Bord ein und alle fünf Netze werden mit Meerwasser gespült. Foto von Volker Diekamp

Um die in ihrer Schale gespeicherten Botschaften zu "entschlüsseln", die manchmal Tausende und Abertausende von Jahren aufbewahrt werden, müssen wir verstehen, wo und wie genau diese Organismen während ihres Lebens im Meer leben und sich entwickeln. Das geht am besten, wenn man sie in der Wassersäule untersucht, indem man Planktonschleppnetze in verschiedenen Tiefen einsetzt.

Spülung der Netze. Bild von Raphaël Morard
Spülung der Netze. Bild von Raphaël Morard
Die Planktonsammler (Steerte) werden abgeschraubt und ins Schiffslabor zurückgebracht. Foto von Raphaël Morard
Die Planktonsammler (Steerte) werden abgeschraubt und ins Schiffslabor zurückgebracht. Foto von Raphaël Morard
Das Produkt eines vertikalen Schlepps, bereit für den Transport zum Labor. Foto von Raphaël Morard
Das Produkt eines vertikalen Schlepps, bereit für den Transport zum Labor. Foto von Raphaël Morard

Seit Beginn der Fahrt und zwischen den Sedimentsammlungen setzen wir daher das Multinet ein - ein Planktonschleppnetz, das die Sammlung von insgesamt fünf Tiefenintervallen in einem Vertikalschleppnetz ermöglicht. Das Gerät ist mit sehr feinen Netzen (100 µm Maschenweite) ausgestattet, die das Sammeln von Mikroplankton bis Makroplankton, von kleinen einzelligen Algen bis zu Quallen, ermöglichen. Das Gerät wird in der Regel in 100 Meter Tiefe eingesetzt und sammelt alle 20 Meter Plankton. Anhand der Proben können wir feststellen, wie tief bestimmte Arten leben und unter welchen Umweltbedingungen (Salzgehalt, Temperatur). Während der MSM111 verwenden wir die Netze auch zum Sammeln von planktischen Foraminiferen, die wir an Bord züchten.

 

Text von Julie Meilland.

25.9.2022, Bohren mit dem Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo200 auf der Maria S. Merian 111

Seit 2005 entwickelt und betreibt die Meerestechnik-Gruppe am MARUM das Bohren mit Bohrgeräten – zunächst MARUM-MeBo70 und dann ab 2014 das MARUM-MeBo200. Das MeBo200-Bohrgerät wurde in einen 20-Fuß Containerrahmen konstruiert, der Senkrecht zum Meeresboden gefiert und auf dem Boden ‚gelandet‘ wird. Zur Erhöhung der Standfestigkeit dienen vier ausgeklappte Beine.

 

Das Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo200 geht mit voller Beladung von Bord der MARIA S. MERIAN auf Tiefe.
Das Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo200 geht mit voller Beladung von Bord der MARIA S. MERIAN auf Tiefe.

 

Ziel ist es, lange Sedimentkerne zu erbohren und zurück zum Schiff zu bringen. Dazu wird, ein in der Bohrtechnik übliches Verfahren, das Seilkernfahren verwendet. Stückweise wird der äußere Bohrstrang aufgebaut, wobei das unterste Bohrrohr, die sogenannte ‚Bottom Hole Assembly‘ das Innenkernrohr aufnimmt und verriegelt. Ist eine Verlängerungsstange abgebohrt, so wird ein Hakenfänger an einem Stahlseil in das Bohrrohr gefiert. Der Kopf des Innenkernrohrs ist als Konusspitze ausgeführt, die Haken fahren über den Konus und verriegeln. Das Kernrohr ist ‚gefischt‘ und kann in den Magazinen des Bohrgerätes verstaut werden. Ein neues Kernrohr wird eingeworfen, eine Verlängerungsstange aufgeschraubt, die anschließend abgebohrt wird.
Die Bedienung der Anlage erfolgt ferngesteuert und videokontrolliert an Deck des Schiffes im Steuercontainer. Vier Monitore stehen für die Benutzeroberfläche der Software bereit. Weitere zwei Monitore zeigen 16 Kamerabilder. Die Bedienung erfolgt im drei mal vier Stunden Schichtsystem rund um die Uhr, denn für 100 Meter gebohrte Länge benötigt man leicht 48 Stunden, besonders wenn sich das Sediment so variabel darstellt, wie auf dieser Reise. Sophia beschreibt ihre Eindrücke eines typischen Schichtablaufs:

Blick auf die Steuerkonsole des Kontrollcontainers.
Blick auf die Steuerkonsole des Kontrollcontainers.

01:30 Uhr
Das Vibrieren meiner Armbanduhr weckt mich. In der Koje über mir ist vor einer Stunde meine Kollegin nach ihrer Schicht eingeschlafen. Ich sammle im Dunkeln meine Sachen, fülle in der Messe meine Thermoskanne mit Tee und schlüpfe in mehrere Schichten Arbeitskleidung.
Am Ende meiner letzten Schicht um 18:00 Uhr bemerkten wir wenige Rohrlängen vor der Zieltiefe von fast 100 Meter einen ungewöhnlichen Spalt am Hakenfänger. 

Es stellte sich die Frage ob wir weiterarbeiten, und damit eine Messung beim Abbau der Bohrung riskieren, oder frühzeitig abbrechen und die Messung auf jeden Fall bekommen. Wie die Bohrung wohl seitdem weiter verlaufen ist?

01:50 Uhr
Ich grüße die wachhabenden Matrosen im Hangar. Bevor ich übers Arbeitsdeck in den MeBo200-Kontrollcontainer gehe beobachte ich im Live-Stream aus dem Container schon mal die Arbeit der Kollegen. Alle an Bord können über den Live Stream die Kameras auf dem Roboter am Meeresboden beobachten. Dies ist meine erste Expedition mit einem Meeresboden-Bohrgerät, jetzt, bei der zweiten Bohrung, kann ich bereits gut einordnen was gerade in 1.500 Meter Tiefe passiert. Der Abbau hat eindeutig begonnen. Aber sitzt im untersten Rohr, der 'Bottom Hole Assembly' (kurz BHA) die Messsonde und sammelt Daten während sie im Bohrloch aufsteigt?

Abbau der Kabelauftriebskörper
Abbau der Kabelauftriebskörper

02:00 Uhr
Freudig begrüßen mich meine Kollegen, wir beginnen mit der Übergabe. Die Entscheidung fiel für das Risiko, aber der Spalt hat sich nicht weiter vergrößert, so dass wir die Zieltiefe geschafft haben und jetzt Daten sammeln! Ich nehme auf dem Co-Piloten-Sitz Platz und der vorherige Co-Pilot übernimmt die Steuerung. Wenn erstmal alle Begriffe und Abkürzungen gelernt sind, erscheint die Arbeit auf den ersten Blick einfach: Eine Rohrlänge bohren. Das mit Sediment gefüllte Kernrohr aus dem Bohrstrang entnehmen. Ein neues Kernrohr einwerfen, dass bis in die BHA durch den Bohrstrang fällt. Den Bohrstrang oben verlängern. Beim Abbau ziehen wir dann den gesamten Bohrstrang nach oben und bauen die Verlängerungen dabei wieder ab.

Allerdings: Ein kleiner Fehler, und eines der Rohre kann abrutschen und das Gerät blockieren. Wir wissen nie genau, was uns unter dem Meeresboden erwartet oder was in den Rohren im Meeresboden passiert. Sediment findet sich an Orten, wo es nicht sein soll; etwas verhakt, wo es durchgleiten soll oder verhakt nicht, wo es verhaken sollte. Fast 100 Meter unter dem Meeresboden, 1.500 Meter unter der Meeresoberfläche sind unsere Möglichkeiten beschränkt. Für die Bohrung nutzen wir einen Greifarm, zwei Klauen, eine Winde und einen Bohrkopf. 15 Kameraperspektiven geben uns etwas Überblick, wenn auch nicht in alle Ecken und Winkel des Geräts. Mit jedem Problem das mit diesen Einschränkungen gelöst wird, wächst mein Respekt vor der Erfahrung, Detailverständnis des Geräts und besonders der Unnachgiebigkeit meiner Kollegen. Wie sehr sich Hartnäckigkeit auszahlt ist eine der Lektionen die mir - neben dem Verständnis für einen neuen Typ Meeresroboter - in Erinnerung bleiben wird.

04:00 Uhr
Jetzt nehme ich im Pilotensitz Platz. Die neue Ablöse sitzt neben mir. Um Fehler zu vermeiden spreche ich als Pilot alles vor der Ausführung laut aus und er bestätigt meine Handlungen und die Stellparameter, die ich wähle. Fehler und einige Fahrzeugparameter behalten wir beide zusammen im Auge, der Co-Pilot schreibt außerdem Protokoll. Wenn wir Sedimentproben wieder in einem der beiden rotierenden Magazinen des Roboters verstauen, muss fehlerfrei dokumentiert sein, aus welcher Tiefe die Probe kommt. Sonst wird aus einer wertvollen wissenschaftlichen Probe, aus der Rückschlüsse über die Erdgeschichte und die Gletscherschmelze in Grönland gezogen werden können, ein wertloses Rohr voller Schlamm.

04:50 Uhr
Der Abbau ist fast beendet. Für die Bergung der Sonde kommt unsere Teamleitung im Container hinzu. Außerdem wird die Brücke und der Bootsmann informiert, dass das MeBo bald vom Meeresboden abheben wird.  Schiffsmanöver sowie das Deck werden vorbereitet für die Bergung des Geräts.
Gerade als wir die Sonde aus dem Bohrstrang ziehen, kommt der erste Besuch meiner Schicht vorbei, ein Rochen, der um das Windenseil flattert, einmal in eines der Magazine mit den Kernrohren schaut und dann wieder seines Weges geht. Er wird viel von seiner ungewöhnlichen Begegnung zu erzählen haben.

05:30 Uhr
Nachdem wir die Sonde ohne Probleme verstaut haben, gestaltet sich die BHA etwas schwieriger. Beim ersten Greifen haben wir zu hoch gegriffen so dass beim Verstauen entweder die BHA oder der Greifarm in Kollisionsgefahr sind. Wir überlegen uns eine Methode umzugreifen, setzen diese schrittweise mit klaren Absprachen um und sind dann bereit abzuheben.

Innenkernrohre des MeBo200.
Innenkernrohre des MeBo200.

05:45 Uhr
Ein Kollege hat begonnen, die Winde an Deck zu hieven und das MeBo hebt ab. Sediment wirbelt um das Gerät, wir lassen es aber bald hinter uns und steigen durch die Wassersäule auf. Wir lauschen einem Hydrophon, das am Rahmen des MeBo montiert ist und klappen die Beine ein. Das Einklappen bis zum Anschlag ist deutlich hörbar und wir haben etwas mehr Sicherheit, in welchem Zustand wir das Gerät an der Wasseroberfläche erwarten.

06:00 Uhr
Meine normale Schicht ist beendet, bis 08:00 Uhr stehe ich aber auch immer für Aussetzten und Bergen bereit. Während das Gerät weiter auftaucht gibt es für mich nichts zu tun, ich gehe in den Sportraum und trainiere etwas.

Bergen der Kerne aus den Kernrohren.
Bergen der Kerne aus den Kernrohren.

06:30 Uhr
Das MeBo ist 100 Meter von der Wasseroberfläche entfernt. Wir bilden eine Kette und lösen Schwimmkörper, die auf den letzten 100 Metern am Drahtseil angebracht wurden, um zu verhindern, dass das Drahtseil auf dem MeBo aufkommt. Dann verlasse ich das Arbeitsdeck wieder und frühstücke, während die Deck Crew das MeBo an Bord bringt und sichert. Habe ich da vereinzelte Schneeflocken gesehen?

07:30 Uhr
Ich komme wieder an Deck, jetzt werden systematisch die Kernrohre mit den Proben für die Wissenschaftler aus dem Gerät geborgen. Meine Kollegin im Kontrollcontainer rotiert auf Zuruf über mein Funkgerät die Magazine in denen die Rohre lagern. Wir verifizieren nach dem vier Augen Prinzip die Probennummern, und die Wissenschaftler beschriften die Rohre. Mittlerweile schneit es, und wir passen bei der Handhabung der schweren Rohre ganz besonders auf.

08:00 Uhr
Zum Abschluss trage ich die Messsonde in eines der Labore, wo ihre Daten ausgelesen werden. Bei einer Tasse Tee wärme ich mich auf und schaue dem Treiben der Geologen an Deck sowie der Schneeflocken in der Luft zu. Um 14:00 Uhr beginnt meine nächste Schicht, wir wollen das MeBo noch heute Abend wieder aussetzen. Es müssen die Magazine mit frischen Kernrohren beladen und einige Schäden behoben werden. Aber jetzt schlafe ich erstmal bis zu meiner nächsten Schicht, während unter mir ausnahmsweise der Bugstrahler schweigt, weil er das Schiff nicht exakt über einem Roboter auf dem Meeresboden positionieren muss.

 

Text von Markus Bergenthal und Sophia Schillai, Fotos von Volker Diekamp.

28.9.2022, Die Geheimnisse des Abgrunds durch hydroakustische Kartierung des Meeresbodens lüften

Neben dem geschäftigen Treiben bei der Entnahme von Sedimentproben war das Hydroakustik-Team hinter den Kulissen mit der Überwachung und Erfassung wichtiger Unterwassertiefeninformationen beschäftigt. Es arbeitet rund um die Uhr an der Erstellung von Karten, um unseren riesigen und geheimnisvollen Meeresboden besser sichtbar zu machen. Die daraus resultierenden topografischen Darstellungen helfen uns, die Bewegung und den Zusammenbruch der grönländischen Eiskappe zu verstehen. Der Mond und der Mars sind derzeit jedoch detaillierter bekannt als der größte Teil unseres eigenen Planeten - die Ozeane. Die auf dieser Reise gesammelten hydrografischen Daten werden dazu beitragen, weitere Gebiete unseres Meeresbodens zu kartieren, von denen bisher nur 23 % kartiert wurden. Auf diese Weise gewinnen wir eine genaue Kenntnis des Meeresbodens und damit eine aufschlussreiche Perspektive auf das unbekannte Terrain, das unsere Ozeane zu bieten haben.

Konzentriertes Arbeiten am Computer, um den Meeresboden zu kartieren. Foto: Volker Diekamp
Konzentriertes Arbeiten am Computer, um den Meeresboden zu kartieren. Foto: Volker Diekamp

Bereits am ersten Tag der Durchfahrt, knapp außerhalb der isländischen Hoheitszone, wurde der Prozess der Erfassung in Gang gesetzt. Die Wassertiefe wird aus der Zeit abgeleitet, die die Schallwellen benötigen, um den Meeresboden zu erreichen und wieder zurück zu gelangen. Dies geschieht mit Hilfe des Fächerecholots EM122 von Kongsberg auf Schiffen. Ein hochmodernes System wie dieses liefert Daten von höchster Präzision und Auflösung. Das Endergebnis ist ein farbenfrohes Geländemodell, das Topologie und Strukturen sehr detailliert wiedergibt.

Während unserer Zeit hier wurden spezielle hydrographische Untersuchungen geplant und durchgeführt, von denen sich einige sogar über mehrere Tage erstreckten. Unabhängig von rauen oder ruhigen Wetterbedingungen ist das hydroakustische Team entschlossen, kohärente Karten zu erstellen. Diese haben sich als entscheidend für die Planung und die Bohrstrategien der MeBo-Operationen erwiesen. Darüber hinaus enthüllen diese Karten die Geheimnisse der Baffin Bay und der grönländischen Gewässer und geben Aufschluss über die Strömung in der Vergangenheit, die Dynamik des Eisschildes und die Routen der Eisberge, die durch Pockennarben und Pflugspuren angezeigt werden.
Die während unserer Kreuzfahrt gesammelten Daten werden auch dem Nippon Foundation-GEBCO Seabed 2030 Project zur Verfügung gestellt, einer globalen Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, unsere geliebten Ozeane bis zum Jahr 2030 zu kartieren. Die Daten sollen frei zugänglich gemacht werden, damit jeder Zugang zu ihnen hat und ein besseres Verständnis für unsere tiefblauen Ozeane entwickeln kann.

Text von Gavin DMello

Eine Bathymetrie-Karte.
Eine Bathymetrie-Karte.

1.10.2022, Meeresleben im Bohrroboter

MeBo-TV, so der Spitzname der Live-Übertragung der Kameras die wir zur Steuerung des MeBo verwenden, ist der beliebteste Fernsehkanal an Bord und beliebt bei Crew gleichermaßen wie Wissenschaft. Zugegebenermaßen, viel Konkurrenz gibt es nicht. Meistens sind die Inhalte ruhige, repetitive mechanische Bewegungen und wabernde Sedimentnebel. Erfahrene Zuschauer erkennen aus der Auswahl der Rohre, den Bewegungen der Greifarme und der Kernseilwinde, was gerade ungefähr passiert. Mit Spannung wird beobachtet wie schnell ein neues Bohrrohr im Boden versinkt (wie lange noch bis 90m?), ob Sediment unerwünschterweise austritt (welche Bedingungen herrschen in dieser Schicht, dass das Sediment nicht in den Probenrohre aber überall sonst auftaucht?), oder wie deutlich Sandschichten Spuren in Form von Abrieb an den Außenkernrohren hinterlassen (wie mit Sandpapier poliert!).

Meeresleben im Bohrroboter
Meeresleben im Bohrroboter

Gelegentlich wird das Programm allerdings belebter. Ob angezogen von Licht oder zufällige Passanten, das MeBo ist so groß, dass in seinem Innenraum immer wieder auch größere Meerestiere vor der Kamera auftauchen und für Abwechslung sorgen. Transparente Quallen die gemütlich durchs Bild pulsieren, geschäftige pinke Shrimp, rätselhafte gallertartige Wesen (eine Rippenqualle?), Tintenfische die sich bei der Bewegung eines Greifarms erschrecken und eine gelbe Tintenwolke hinterlassen oder Tiefseefische die sich für eine Weile neben unserem Bohrloch niederlassen.

Gelegentlich führen diese Beobachtungen auch zu Diskussionen und Recherchen unter uns nicht-Makrobiologen. Schlief der Rochen vielleicht, der direkt gegen das Bohrrohr schwamm? Bis zu welcher Tiefe finden sich Rochen eigentlich? Bei 1.500 Metern bewegen sich die von uns beobachteten Tiere wohl im Mittelfeld.
Die bisher spannendste Beobachtung war allerdings ein riesiger Tintenfisch (Biologen mögen uns eine potentielle Cephalopod-Fehlklassifikation vergeben), der sich als zwei Tintenfische herausstellte. Von der ursprünglichen These des Todeskampf ums Gefressen werden sind wir dank dieses Artikels (https://www.mbari.org/cephalopod-sex/) mittlerweile wieder abgekommen. Wer hätte sich ausmalen können dass wir beim Bohren in die Tiefen des Meeresbodens Zeugen der Cephalopoden Reproduktion würden?

Text von Sophia Schillai

6.10.2022, Was unten liegt, kommt von oben.

Prozessierung und Bearbeitung der Parasounddaten für vorläufige Interpretationen. Die großflächigen, nahezu transparenten Ablagerungen stellen wahrscheinlich die Ablagerungen von Hangrutschungen dar, sodass diese Lokation für den Einsatz des MeBos ungeeignet erscheint. Foto: Volker Diekamp
Prozessierung und Bearbeitung der Parasounddaten für vorläufige Interpretationen. Die großflächigen, nahezu transparenten Ablagerungen stellen wahrscheinlich die Ablagerungen von Hangrutschungen dar, sodass diese Lokation für den Einsatz des MeBos ungeeignet erscheint. Foto: Volker Diekamp

In den letzten Beiträgen meiner Kollegen ging es zwar viel um biologische Organismen, die in der Wassersäule unserer Ozeane leben, aber die Hauptbotschaft ist allen in den Meeren enthaltenen Partikeln gemein: Was unten liegt, kommt von oben. So auch kleinste Sedimentpartikel, die im Zuge der Verwitterung an Land abgetragen, durch Niederschlag weggeschwemmt, und letztlich durch Flüsse, Wind und Eis in die Ozeane transportiert werden.

Unser Forschungsgebiet in der Baffin Bay ist heute zwar so weit von der Küstenlinie entfernt, dass Wind und Flüsse hier kaum noch Einfluss zeigen können, und auch die Gletscher des Grönländischen Eisschilds nicht mehr weit genug reichen, um bedeutend zur Meeresbodenbildung beizutragen. Jedoch war nicht nur das Grönländische Eisschild einst deutlich größer, sondern lag auch der Meeresspiegel zum Höhepunkt der letzten Eiszeit vor ca. 25.000 Jahren um geschätzte 120 Meter tiefer. Das bedeutet, dass alle küstennahen Regionen, die heute, grob gerechnet, in weniger als 120 Meter Wassertiefe liegen, einst zur Küstenregion gehörten und die Spuren vergangener Vereisungen zeigen können.

Diese Spuren liegen zum Teil in der Morphologie versteckt - im letzten Beitrag wurde das Beispiel der iceberg ploughmarks genannt, welche entstehen, indem große Eisberge mit tief reichenden Kielen über den Meeresboden “kratzen” und dabei tiefe Furchen ausbilden. Auch glaziale Landformen wie Endmoränen und Sanderflächen zeigen sich zum Teil deutlich in der Morphologie des flachen Meeresbodens, welche mithilfe des Fächerecholots und der resultierenden Karten ausfindig gemacht werden können. Zum anderen liefert aber auch die Nutzung so genannter Sedimentecholote Aufschluss über die Ablagerungsbedingungen und Sedimentationsräume vergangener Zeiten. An Bord haben wir ein Sedimentecholot der Firma Atlas Parasound installiert, das, wie alle Echolote, auf der Basis akustischer Signale und ihrer Fortpflanzungszeit beruht. Da das akustische Signal auch bis in die Sedimente vordringt, können anhand der reflektierten Signalstärke und ihrer Unterschiede die oberen ca. 100 m des Meeresbodens dargestellt werden.

Anhand der so ersichtlichen Reflektoren können dann Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der lagernden Sedimente gezogen werden. Das liegt daran, dass die Eigenschaften der dargestellten Reflektoren (zum Beispiel geschichtet oder massig, dunkel oder hell) Aufschluss über verschiedenartige Materialien und deren Fähigkeit seismische Wellen weitertransportieren zu können gibt. Solche Eigenschaften hängen wiederum von Wassergehalt und Dichte der Sedimente ab, wodurch vorläufige Interpretationen über die Korngröße, Speicherkapazitäten und Ablagerungsenergie getroffen werden können. Dies ist während der Ausfahrt sehr nützlich und wichtig, da wir mithilfe der Parasounddaten geeignete Positionen für das MeBo und unser weiteres Sedimentkerngerät, das Schwerelot, identifizieren können. Die Aufgabe des Hydroakustikteams besteht also unter anderem darin, den Meeresboden strategisch zu überfahren und dabei das Parasound mitlaufen zu lassen, um hinterher sehen zu können, an welcher Stelle die Sedimentschicht maximal mächtig und minimal gestört erscheint. Dort wird dann das MeBo ausgesetzt, in der Hoffnung möglichst viel des Sedimentes mit an die Wasseroberfläche zu bringen.

Beispiel von dem Ausschnitt eines Nordwest-Südost verlaufenden Parasound-Profils in der Baffin Bay. Auf der X-Achse ist die Entfernung in Metern dargestellt, auf der Y-Achse die “Reisegeschwindigkeit” der akustischen P-Wellen vom Schiff zum Meeresboden und zurück. Die Wechsel in den Sedimentbeschaffenheiten sind durch abwechselnd stärkere (dunklere) und schwächere (helle) Reflektoren gekennzeichnet. Geschichtete Sedimente sind genauso gut erkennbar wie einige kleine linsenförmige Ablagerungen (Abbildung von Katharina Streuff, erzeugt mit SMT The Kingdom Software).
Beispiel von dem Ausschnitt eines Nordwest-Südost verlaufenden Parasound-Profils in der Baffin Bay. Auf der X-Achse ist die Entfernung in Metern dargestellt, auf der Y-Achse die “Reisegeschwindigkeit” der akustischen P-Wellen vom Schiff zum Meeresboden und zurück. Die Wechsel in den Sedimentbeschaffenheiten sind durch abwechselnd stärkere (dunklere) und schwächere (helle) Reflektoren gekennzeichnet. Geschichtete Sedimente sind genauso gut erkennbar wie einige kleine linsenförmige Ablagerungen (Abbildung von Katharina Streuff, erzeugt mit SMT The Kingdom Software).

 

Parasounddaten können aber auch nach der Ausfahrt als Grundlage für die weitere Forschung dienen, da sie auch die Interpretation ehemaliger Ablagerungsräume zulassen. Schön geschichtete, horizontal lagernde Schichten, beispielsweise, deuten oft auf ein relativ ruhiges Ablagerungsmilieu hin, wie es auf dem offenen Ozean der Fall ist. Die Schichtung kommt dadurch zustande, dass sich in periodischen Abständen die Ablagerungsbedingungen ändern. Vor Grönland wäre so ein Wechsel zum Beispiel durch den Rückzug und erneuten Vorstoß des Eisschildes im Zuge klimatischer Veränderungen denkbar. Während einer Warmzeit wäre der Eisrand weit entfernt, wodurch die Sedimente hauptsächlich aus sehr feinen Tonpartikeln, vermischt mit den abgestorbenen Resten planktischer Organismen (z. B. der oben erwähnten Foraminiferen) bestehen würden, die einfach durch die Wassersäule herabregnen und wenn, dann nur durch ozeanische Strömungen beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu sind Sedimente die im Zusammenhang mit Eis abgelagert werden gekennzeichnet durch große Heterogenität – feine Tonpartikel werden genauso mitgetragen wie Sande, Kiesel und sogar große Felsblöcke, welche heute oft als Findlinge das Landschaftsbild prägen (ein eindrucksvolles Beispiel ist der “alte Schwede” in Övelgönne am Hamburger Elbstrand). Zudem transportiert Eis meist soviel Gesteinsschutt auf einmal, dass es infolge spontaner Ablagerung häufig zu Rutschungen kommt, insbesondere dort wo leichte bis starke Steigungen Hänge ausbilden, zum Beispiel am Kontinentalhang. Das Ergebnis sind ausgedehnte Ablagerungen, die sich oft fächerartig ausbreiten und als linsenförmige, massige Sedimente auf dem Parasound erscheinen.

Text von Katharina Streuff