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Logbuch Meteor 112

Expedition zu den Schlammvulkanen im Mittelmeer

Am 6. November 2014 ist das deutsche Forschungsschiff METEOR von Catania/Sizilien aus zu seiner 112. Forschungsreise aufgebrochen. Unter der Leitung von Prof. Gerhard Bohrmann wollen MARUM-Wissenschaftler gemeinsam mit italienischen und türkischen Kollegen einigen Schlammvulkanen im Mittelmeer auf den Grund gehen. Ein Team von NATIONAL GEOGRAPHIC Deutschland begleitet die Expedition. Siebo Heinken, stellvertretender Chefredakteur, führt das Schiffstagebuch (siehe unten). Fotograf Philipp Spalek liefert dazu die passenden Bilder.

Das Expeditionsgebiet südöstlich der italienischen Stiefelspitze.
Abb.: National Geographic

Die Teilnehmer_innen der Expedition M 112/1.
Foto: Christian Rohleder

20. November, 9 Uhr

„Wir müssen verstehen, was in der Tiefsee passiert.“
Abschlussinterview von Siebo Heinken, National Geographic, mit Prof. Gerhard Bohrmann.

Gerhard Bohrmann, Professor für Geologie an der Universität Bremen und einer der stellvertretenden Direktoren des MARUM, ist Fahrtleiter dieser Expedition. Seit er als Teil eines Forscherteam 1996 vor der Küste von Oregon auf große Mengen von Methanhydraten – unter bestimmten Bedingungen in der Tiefsee gebundenes Gas – stieß, lässt ihn dieses Thema nicht mehr los. Knapp 40-mal war er schon mit Forschungsschiffen in aller Welt unterwegs, seit 1999 als Expeditionsleiter. Nach dem ersten Teil dieser Fahrt, die noch bis zum 15. Dezember dauern wird, zieht er eine erste Bilanz.

Weshalb erforschen Sie Schlammvulkane im Meer?
Schlammvulkane sind die schnellsten Transportwege, über die Gas und Flüssigkeiten aus großer Tiefe in die Wassersäule gelangen. Bei dem Gas handelt es sich vor allem um Methan. Mein Team und ich wollen die Dynamik verstehen, wie schnell der Schlamm nach oben gelangt, um Rückschlüsse auf den Transport der Flüssigkeiten und Gase zu ziehen. Methan kann als Energiequelle genutzt werden, wenn es in Form von Gashydraten vorliegt. Es kann aber auch in die Atmosphäre gelangen und dort als Klimagas wirken.

Was ist das Ziel dieser Expedition?
Nur wenn wir die Prozesse von Schlammvulkanen verstehen, können wir herausfinden, wie viel Methan dort entweicht. Das wollen wir hier am Kalabrischen Bogen erforschen, wo sich die Afrikanische Erdplatte unter die Eurasische Erdplatte schiebt. Es gibt hier nach Schätzungen 80 bis 150 Schlammvulkane. Etwa 50 sind bisher bekannt.

Welche Ergebnisse gibt es bisher?
Methan gelangt dann am schnellsten aus der Tiefe zum Meeresboden und weiter in die Wassersäule, wenn es als freies Gas auftritt. Solche Stellen, die wir Seeps nennen, haben wir bisher nur an zwei Stellen an den Venere-Vulkanen gefunden. In dieser Gegend scheint Methan vor allem im Wasser gelöst aufzutreten. Wir wissen noch nicht, weshalb das so ist. Ich nehme aber an, dass die Schlammvulkane hier recht flache Wurzeln haben, also nicht so tief reichen. Wir werden das in den kommenden drei Wochen auf dem zweiten Teil unserer Expedition weiter erforschen.

Was ist die Herausforderung bei der geologischen Tiefseeforschung?
Das ist vor allem die detaillierte Kartierung. Wenn wir gezielt Proben nehmen wollen, benötigen wir genaue topographische Karten. Deshalb haben wir vor allem das autonome Unterwasserfahrzeug MARUM-SEAL an Bord, das uns die entsprechenden Daten liefert. Die Tiefsee ist extrem schwer erreichbar, und wenn wir mit einem Tauchroboter, also unserem MARUM-QUEST, arbeiten, müssen wir vorher genau überlegen, was wir dort unten wollen und wie wir die Proben nehmen. Erst durch Messungen in der Wassersäule, am Meeresboden und im Sediment können wir Prozesse verstehen und nicht nur hypothetisch ableiten.

Die Tiefsee ist noch kaum im Detail vermessen. Gehen die präzisen Karten, wie sie auf dieser Expedition entstehen, in eine Datenbank ein?
Es gibt globale Datensätze, jedoch in schlechter Auflösung. Die Ergebnisse genauer Vermessungen werden bisher nicht zusammengetragen. Aber wir stellen sie natürlich anderen Wissenschaftlern für ihre Forschungen zur Verfügung.

Gerhard Bohrmann, hier in seiner Kammer auf der METEOR (oben), leitet diese Expedition zu den Schlammvulkanen vor Süditalien.

Im Geolabor der METOR: Bohrmann und seine Mitarbeiterinnen bereiten die Analyse eines Sedimentkerns vor, der gerade aus dem Meeresboden gezogen wurde.

Fotos: P. Spallek, National Geographic

19. November, 12 Uhr

Position: 37 Grad 53 Minuten Nord, 17 Grad 30 Minuten Ost
auf dem Weg nach Catania
Temperaturen: Luft: 19,5 Grad C, Wasser: 20,2 Grad C
Wind: 9,7 m/s, Stärke 5 aus Nordwest
 
Die letzten Tage der Expedition zu den Schlammvulkanen vor Kalabrien sahen zufriedene Gesichter der Wissenschaftler. Das autonome Tauchfahrzeug MARUM-SEAL lieferte Daten, mit denen detaillierte Karten der beiden Venere-Vulkane erstellt wurden. Der Tauchroboter MARUM-QUEST nahm Gas- und Sedimentproben und führte die Forscher in unerforschtes Terrain. Die Live-Schaltungen zum Meeresboden zeigten sprudelnde Methanquellen, Kalkkrusten mit Bartwürmern und Bakterienmatten, die allerlei Fischen als Nahrung dienen.

Meeresforschung ist Teamarbeit. 30 Wissenschaftler und Techniker blickten in die Tiefsee, 33 Besatzungsmitglieder trugen zum Gelingen der Expedition bei. Wie auch der Erste Elektroniker Olaf Willms (44) und seine Kollegin Catharina Hebold (31), außerdem der Systemadministrator Emmerich „Emmo“ Reize (26) und Stefan Seidel (47), Trainee im Serverraum. Die Elektroniker kümmerten sich um die dreidimensionale Positionsanlage „Posidonia“, eine Art GPS im Wasser, wodurch immer sichtbar ist, wo im Meer sich die wissenschaftlichen Geräte gerade befinden. Sie reparierten Monitore auf der Brücke, überwachten die Elektronik der Winden, das Echolot, die Satellitenanlage für das Internet. Und erledigten in ihrer Werkstatt mit mehr als 1200 kleinen Schubkästen voller Strecker und Schrauben auch kleine Reparaturen. Manchmal kleben sie sogar Schuhabsätze.

Der gelernte Radio- und Fernsehtechniker Willms arbeitete schon bei der Marine zwölf Jahre lang als Bordelektroniker, Catharina Hebold kam über ihren Stiefvater, einen Matrosen auf dem Forschungsschiff „Polarstern“, mit der Seefahrt in Kontakt. Anders „Emmo“ Reize: Der Fachinformatiker war lange in der Anti-Atom-Bewegung aktiv, wollte dann sein berufliches Wissen mit dem Engagement im Umweltschutz verbinden und bewarb sich bei Sea Shepard: einer Organisation, die sich vor allem gegen den Walfang und die Überfischung der Meere einsetzt. Im Oktober 2011 war er zum ersten Mal auf der „Bob Balker“ im Südmeer.

Meist auf dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN eingesetzt, arbeitete Emmo Reize diesmal als Vertretung auf der METEOR. Drei Monate lang und auch während unserer Fahrt sorgte er für den reibungslosen Betrieb des Netzwerks und dafür, dass alle wissenschaftlichen Daten ununterbrochen aufgezeichnet wurden.
 
Bei strahlendem Sonnenschein sind wir jetzt auf dem Rückweg nach Catania, wo am Donnerstag um 8 Uhr der Lotse auf uns warten wird. Wenn dort ein Teil der Besatzung und der Wissenschaftler von Bord geht (und vorher in der Bar Abschied feiert), nimmt Emmo Reize das Flugzeug nach Australien. Dort wartet schon der nächste Einsatz auf einem Schiff von Sea Shepard, diesmal gegen illegalen Fischfang in antarktischen Gewässern.

Der Systemadministrator Emmerich „Emmo“ Reize (vorn) betreute das Netzwerk. Auf der nächsten Fahrt löst ihn Stefan Seidel (hinten) ab.

Die Elektroniker Olaf Willms und Catharina Hebold in ihrer Werkstatt. Sie haben dort viele Ersatzteile zur Verfügung – aber oft müssen sie improvisieren. (unten)

18. November, 14 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 11 Minuten Ost
weiterhin oberhalb der Venere-Schlammvulkane vor Kalabrien
Temperaturen: Luft 19,5 Grad C, Wasser: 19 Grad C
Wind: 3,9 m/s, Stärke 3 aus Südsüdwest

Und nun das Wetter. Wir befinden uns zwischen hohem Druck über dem östlichen Mittelmeer und einem Tief über der nördlichen Adria. Tagsüber liegt die Temperatur bei 19 Grad. Der Wind weht mit Stärke 3 bis 4 aus Süd bis Südwest, die See hat eine Dünung von einem halben bis einen Meter. Als heute um 8.30 Uhr Fahrtleiter Gerhard Bohrmann und Kapitän Rainer Hammacher mit seiner Schiffsführung bei der täglichen Konferenz auf der Brücke den Tag in den Blick nahmen, war auch der Wettertechniker Andreas Raeke wieder dabei. Seine Daten sind wesentliche Grundlage für die Arbeit der Wissenschaftler und die Navigation der METEOR. Können die Tauchgeräte sicher ausgesetzt werden, und vor allem: Wie wird der Wellengang sein, wenn sie wieder an Bord geholt werden müssen?

Das Schiff ist einer der ungewöhnlichen Arbeitsplätze für professionelle Wetterbeobachter, ebenso die POLARSTERN, das andere deutsche Forschungsschiff, auf dem der Deutsche Wetterdienst eine Wetterwarte betreibt. Die Techniker liefern auch Informationen aus Regionen, in denen selten andere Schiffe verkehren. Rund um die Uhr schicken die Messgeräte an Bord der METEOR automatisch Daten wie Temperatur, Wind und Luftdruck, Niederschlag und UV-Strahlung nach Offenbach. Hinzu kommt von 6 bis 18 Uhr alle drei Stunden die persönliche Beobachtung der Wettertechniker: Welche Wolken hängen am Himmel, wie ist die Windsee, wie die Dünung? Dazu die Daten eines Wetterballons, den der 52-jährige Raeke und sein neuer Kollege Christian Rohleder wann immer möglich aufsteigen lassen. Er fliegt bis in 24 Kilometer Höhe und sendet Informationen über Windgeschwindigkeit und Windrichtung, Luftdruck und Luftfeuchte – wichtig zum Beispiel für Piloten, um eine günstige Route zu planen.

Andreas Raeke kam vor fünf Jahren an Bord der „Meteor“. Nach 30 Jahren im Wetterdienst an Land suchte er eine neue Herausforderung. Was den Potsdamer trieb: „Das Interesse an der Wetterbeobachtung und die Sehnsucht nach der weiten Welt“. Gut sechs Monate ist er jedes Jahr auf See – ein Erlebnis, auf das sich auch der Leipziger Christian Rohleder nach 24 Jahren Arbeit auf dem Flughafen Halle-Leipzig freut. Der 43-jährige, dessen Kinder ebenfalls das Elternhaus bereits verlassen haben, segelt seit 30 Jahren und freut sich vor allem auf das Meer: „Dort fühle ich mich besonders wohl“.

Jeden Morgen schicken die Wettertechniker ihre erste Meldung nach Deutschland, und schon vor der Konferenz auf der Brücke bekommen sie die aktuellen Wetterdaten und –karten sowie die Beratung eines Meteorologen vom Seewetteramt in Hamburg. Zu ihrem Vortrag über Wind und Wellen im jeweiligen Fahrtgebiet der METEOR stellen sie gern Fotos vom Schiff oder von aktuellen Wetterphänomen. Heute: der rote Sonnenaufgang, Hinweis auf feuchtere Luft.

Jeden Morgen präsentiert der Andreas Raeke auf der Schiffsbrücke den aktuellen Wetterbericht. (oben)

Christian Rohleder überprüft Messgeräte auf dem Mast, 35 Meter über dem Wasser.

Fotos: P. Spalek, National Geographic

17. November, 12 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 11 Minuten Ost
oberhalb der Venere-Schlammvulkane vor Kalabrien
Temperaturen: Luft 18,7 Grad C, Wasser: 19,1 Grad C
Wind: 4,9 m/s, Stärke 3 aus Westsüdwest
 
Von 8 bis 10 Uhr ist Sprechstunde auf der METEOR. Doch heute Morgen war es ruhig in Dr. Klaus Rathnows kleiner Praxis: nicht ein Patient kam, um sich behandeln zu lassen. „Auf einer zweiwöchigen Reise gibt es in der Regel 25 bis 30 Konsultationen“, sagt der 59-jährige Mediziner.

Wie viele andere Besatzungsmitglieder kam er über die Liebe zum Meer auf die METEOR. Nachdem seine Frau gestorben war, verkaufte der erfahrene Hochseesegler sein Hab und Gut und zog auf ein Segelboot. Fuhr mit einer Gleichgesinnten über den Atlantik, in die Karibik und ein Stück den Orinoco hinauf, zurück nach Kanada und auf die Großen Seen. Als das Geld vor acht Jahren ausgegeben war, musste er sich einen Job suchen. Der Stress und die hierarchische Struktur eines Krankenhauses kamen nicht in Frage. Er bewarb sich bei der Reederei der METEOR – und bekam einige Zeit später einen Anruf: ob es ihm möglich sei, an Bord zu kommen, am nächsten Tag in Istanbul.

Rathnow teilt sich die Stelle mit einem Kollegen, ist insgesamt sechs Monate auf See, hat den Rest des Jahres frei. Der Facharzt für Anästhesie und Rettungsmedizin kümmert sich um die medizinische Betreuung von Besatzung und Wissenschaftlern, aber auch um die Buchhaltung, Heuerabrechnung, die Proviantinventur und –abrechnung sowie um die kleine Bibliothek mit wissenschaftlicher und populärer Literatur: „Lesen ist eines meiner Hobbys.“

Die größte Verantwortung hat er als Mediziner. Oft sind es Kleinigkeiten, die er behandelt: Sonnenbrand, Platzwunden und andere kleine Blessuren, Atemwegserkrankungen. Immer mal wieder aber auch schwere Fälle. Wie vor einigen Jahren vor Grönland. Keine menschliche Besiedlung weit und breit, eine junge Frau mit Bauchschmerzen und hohem Fieber – und die Befürchtung: Blinddarmentzündung. Rathnow beschloss zusammen mit dem Kapitän, die wissenschaftliche Expedition abzubrechen und mit der METEOR. sofort Kurs auf Reykjavik zu nehmen. „Meine Entscheidungen haben oft unmittelbare und größere Konsequenzen als an Land“, sagt der Bordarzt. „Die Arbeit ist vielseitig, ich habe eine große Verantwortung, und ich kann zudem dort sein, so ich am liebsten bin: auf dem Wasser.“ Immer mal wieder ist er bei persönlichen Problemen zudem Gesprächspartner für Besatzungsmitglieder, etwa, wenn jemand von seiner Frau verlassen wurde.

Falls Rathnow den Rat eines Kollegen einholen will, ruft er bei der Funkärztlichen Beratungsstelle des Krankenhauses in Cuxhaven oder im Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide an. Sein Medikamentenschrank ist zudem nicht nur nach dem für zivile Schiffe vorgeschriebenen Standard aufgebaut, sondern besonders gut gefüllt.

Manchmal kann eine Arznei aber auch anderen Zwecken dienen. Vor einiger Zeit gelangte in Oman eine Ratte unbemerkt an Bord. Das durfte nicht sein. Rattengift gab es nicht, also mischte Rathnow aus Leckereien und einem in bestimmten Dosen tödlichen Herzmedikament einen Cocktail, der an verschiedenen Stellen der METEOR ausgelegt wurde. Bald darauf fand jemand den schon vertrockneten Nager.

Zwei Patienten pro Tag: Klaus Rathnow – hier im Operationsraum – ist Bordarzt der METEOR, zudem Buchhalter und zuständig für die Bibliothek..

Der Arzneischrank ist nach Regeln für die zivile Schifffahrt aufgebaut, die Medikamente tragen einheitliche Kennziffern. Besonders groß ist der Bedarf an Mitteln gegen Seekrankheit.

Fotos: P. Spalek, National Geographic

16. November, 10 Uhr

Position: 38 Grad 11 Minuten Nord, 16 Grad 56 Minuten Ost
26 Meilen östlich von Roccella Ionica
Temperaturen: Luft 20 Grad C, Wasser: 19,6 Grad C
Wind: 5,7 m/s, Stärke 4 aus Westsüdwest

Bei Sonnenaufgang ging heute der Tauchroboter MARUM-QUEST wieder auf Reise in die Finsternis. Ein anderes Gerät, mit dem die Tiefsee erforscht wird, ist der Kranzwasserschöpfer. Damit bestimmen die Geologen an Bord der METEOR die Methankonzentration oberhalb der Schlammvulkane und messen überdies den Sauerstoff- und Salzgehalt des Wassers sowie dessen Temperatur in unterschiedlichen Schichten.

Der Kranzwasserschöpfer gehört zu den einfacheren, aber bewährten Hilfsmitteln der Forscher. In ein ringförmiges Metallgestell sind 21 graue, etwa einen halben Meter hohe Plastikflaschen eingehängt, die oben und unten gleichzeitig verschließbare Öffnungen haben. Die Konstruktion wird an einem Draht zum Meeresboden hinab gelassen, wobei das Wasser die Flaschen durchspült. Wenn das Gestell wieder hochgezogen wird, verschließt die Geowissenschaftlerin Patrizia Geprägs die Flaschen eine nach der anderen und erhält so Wasserproben aus verschiedenen Tiefen. Im Labor bestimmt sie anschließend mit verschiedenen Verfahren den Gasgehalt und findet so heraus, wieviel Methan aus dem Schlammvulkan entweicht und wie die Gaskonzentration nach oben hin abnimmt.

Für Patrizia Geprägs ist diese Forschung Teil ihrer Doktorarbeit über die Methanverteilung im Wasser. Als die 28-Jährige aus der Nähe von Ulm nach ihrem Bachelor-Abschluss ein Praktikum am MARUM in Bremen machte, hatte sie gleich Gelegenheit, auf dem Forschungsschiff POSEIDON vor den Azoren zu arbeiten. „Es konnte nicht besser laufen“, erinnert sie sich. Sie blieb, machte ihren Master und erfüllte sich einen Traum: Noch in der Oberstufe, sah sie im Fernsehen eine Dokumentation über einen Geologen, der im Meer Sedimentkerne zog. Sie beschloss: Das will ich auch. Inzwischen war sie unter anderem vor Japan und in der Antarktis unterwegs, in diesem Winter geht es wieder auf der METEOR in die Karibik. Alles so, wie sie es im Abitur-Jahrbuch vermerkte: Ich möchte mal auf Forschungsschiffen fahren.

Mit einem Kran wird der Kranzwasserschöpfer ins Meer gelassen und sinkt dann an einem Draht bis auf den Boden. (oben)

Die Geowissenschaftlerin Patrizia Geprägs (Mitte) entnimmt ihre Wasserproben und analysiert anschließend im Labor den Methangehalt.

Fotos: P. Spalek, National Geographic

14. November, 15 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 11 Minuten Ost
oberhalb der Venere-Schlammvulkane vor Kalabrien
Temperaturen: Luft: 18,1 Grad C, Wasser: 19,4 Grad C
Wind: 7,3 m/s, Stärke 4 aus Nord

Entspannt aber hochkonzentriert steht er da. Heute früh acht Uhr, ruhige See, strahlender Sonnenschein, das ferngesteuerte Tauchfahrzeug MARUMSEAL geht zu Wasser. Peter Hadamek dirigiert die Matrosen, stimmt sich mit Teamleiter Gerrit Meinecke ab, steuert den Kran mit seiner Konsole und hat alles im Blick. Als Bootsmann der METEOR ist er Leiter der Decksmannschaft und auch dafür zuständig, dass die wissenschaftlichen Geräte sicher ins Wasser gesetzt und wieder an Bord geholt werden. „Wichtig ist, immer gut vorbereitet zu sein“, sagt er. Und Ruhe zu bewahren: „Wenn etwas nicht so klappt wie gedacht, dann halten wir den Vorgang erst einmal an, untersuchen das Problem und lösen es ohne Hektik.“

Hadamek ist Seemann aus Leidenschaft. Machte den Matrosenbrief, fuhr auf Frachtern, Fährschiffen und Tankern, erlebte Eisfahrten auf der Ostsee und überstand einen Untergang. Genau 30 Jahre ist es her, als im schweren Sturm vor Island die Ladung aus Staubkohle verrutschte und sein Frachter kenterte. Sieben Besatzungsmitglieder starben, Hadamek war einer der nur sechs Überlebenden. „Aber es kam mir nie in den Sinn, aus meinem Beruf auszusteigen“, sagt er.

Am meisten schwärmt er von den Jahren auf der ICEBIRD, einem 109 Meter langen Spezialschiff, das von Hobart in Tasmanien aus die australischen Antarktisstationen versorgte. Tagelang Windstärke 12 und riesige Seen, Eiseskälte und Schneestürme. Einmal war das Schiff nur zu retten, indem der Kapitän es mit dem Bug auf Land setzte.

Auf der METEOR erlebt Hadamek andere Herausforderungen. Neues Forschungsgerät kommt an Bord; aber wie soll es zu Wasser gelassen werden? Messstationen müssen nach mehreren Jahren geborgen werden. Es macht mir Spaß, dafür Lösungen zu finden, sagt der Hamburger. Für ihn gibt es zwei Dienstgrade an Bord eines Schiffs, die man nicht lernen könne: Kapitän und Bootsmann. Auf beide Positionen werde man berufen, vorausgesetzt, man hat Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung.

Und was sind seine schönsten Erlebnisse? Die Reise entlang der Küste Patagoniens und der Ausbruch des Ätna vor einigen Jahren. Damals war die METEOE fast genau dort, wo sie jetzt steht.

Bootsmann Peter Hadamek leitet die Decksmannschaft und ist dafür zuständig, die Meteor betriebsbereit zu halten. (oben)

Das Tauchfahrzeug MARUM-SEAL ist gerade zu Wasser gelassen worden. Peter Hadamek (hinten) steuerte das Manöver an Deck. (unten)
 
Fotos: P. Spalek, National Geographic

13. November, 17 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 11 Minuten Ost
oberhalb der Venere-Schlammvulkane vor Kalabrien
Temperaturen: Luft 16,8 Grad C, Wasser 19,6 Grad C
Wind: 13,1 m/s, Stärke 6 aus Westnordwest

Bis spät abends haben die Geologen gestern Wasser- und Sedimentproben der beiden Venere-Schlammvulkane genommen; heute sehen sie sich das Gebiet mit dem MARUM_QUEST an: einem Unterwasserfahrzeug, das bis in 4.000 Meter Wassertiefe abtaucht. Er wird von einem Kontrollcontainer an Bord der METEOR aus ferngesteuert und ist mit diversem Zubehör ausgestattet, das einen genaueren Blick in die Tiefsee ermöglicht: Scheinwerfer, mehrere Kameras, zwei Greifarme und Behälter, um Proben nehmen zu können, dazu ein Sonar, das die Umgebung akustisch abtastet und Gegenstände in der Umgebung auf einem Bildschirm anzeigt.

Kurz nach acht Uhr heute morgen: Aufbruch ins Unbekannte. Vom Heckgalgen, einem Kran hinten am Schiff, wird das quaderförmige Tauchgerät zunächst ins Wasser gelassen, wenige Minuten später drücken drei Propeller es in die Tiefe. Blaues Wasser, helle Schwebstoffe huschen vorbei, dann, nach einer Stunde, die Stimme des Piloten Christian Reuter aus dem Container: Boden in Sicht. Ein Bildschirm zeigt die Wassertiefe an: 1.560 Meter.

Die Tiefsee und die technischen Möglichkeiten, sie zu erkunden, haben den Geologen Reuter schon während seines Studiums interessiert, das ihn unter anderem nach Wales führte. Seit 2008 gehört er zur Mannschaft des QUEST, inzwischen ist der Leiter des mehrköpfigen Team von Spezialisten für Mechanik und Hydraulik, Elektronik und Computertechnologie. Und begeistert wie am ersten Tag. „Das ist alles unglaublich faszinierend“, sagt der 38-Jährige und strahlt wie ein Junge über seine Carrerabahn: „Man taucht in eine bizarre, außerirdisch scheinende Welt.“

Ein knapp drei Zentimeter dickes Kabel verbindet das MARUM-QUEST mit der METEOR, darin ein Stahlseil, ein Starkstromkabel und Glasfaserkabel, über die auch die Videos aus der Tiefsee in den Kontrollcontainer übertragen werden. Die Scheinwerfer zeigen eine karge Mondlandschaft, dann weißliche Matten von Bakterien, die auf austretendes Methan hindeuten. Einzelne Fische huschen vorbei, eine Garnele läuft durchs Bild. Als gerade eine Bakterien- und Sedimentprobe genommen werden soll, passiert es: Der Greifarm dreht plötzlich nach links und lässt sich nicht mehr bewegen. Die Technik dieses Tauchgeräts ist extremer Belastung ausgesetzt: das Wasser, die Kräfte, wenn die Greifarme Steine und andere schwere Gegenstände bewegen, der Druck von mehr als 150 bar, der in dieser Tiefe auf jedem Quadratzentimeter lastet. Den nächsten Tag wird das QUEST-Team mit der Reparatur verbringen.

Aber die Bilder, die der Roboter machte, die Fotos vom Meeresboden, die zu einem Mosaik zusammengesetzt werden tragen mit all den anderen Daten aus der Tiefe dazu bei, Schlammvulkane besser zu verstehen.

Vom Heckgalgen wird der Tauchroboter Marum Quest vorsichtig ins Wasser gelassen. (oben)

Christian Reuter (unten) auf dem Pilotensitz im Kontrollcontainer. Von hier aus wird der Tauchroboter fernesteuert.
Fotos: P. Spalek, National Geographic

12. November, 19 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 11 Minuten Ost
vor Kalabrien
Temperaturen: Luft 21,1 Grad C, Wasser: 19,8 Grad C
Wind: 8,6 m/s, Stärke 5 aus Westnordwest

Heute auf dem Speiseplan: zum Frühstück frische Brötchen, Eier nach Wahl und Pfannkuchen mit Früchten, mittags Lammcurry mit Reis, Salat und Obst, am Abend Hähnchenkeule mit Pommes Frites. Die Köche (Kochsmaate, wie sie auf Schiffen genannt werden), gehören zu den wichtigsten Menschen auf einem Schiff, und auch auf der METEOR tragen sie zur guten Stimmung unter Wissenschaftern und Mannschaft bei. Ihr Tag beginnt um vier Uhr, vor 18 Uhr ist selten Feierabend. Doch beide können sich keinen anderen Job vorstellen. „Es war schon früh mein Traum, Schiffskoch zu werden“, sagt Rainer Götze (45) aus Finsterwalde, der schon seit 15 Jahren auf Forschungsschiffen fährt, seit 2003 nur noch auf der METEOR. Sein Kollege Peter Wernitz (48) musste als Matrose in der Binnenschifffahrt nebenher auch die Kombüse bedienen, entdeckte dort seinen Spaß am Kochen und nach mehreren Stationen, unter anderem auf einem Kreuzfahrtschiff, auch seine Lust an der Hochsee.

Als Kochsmaate sind die beiden nicht nur für die tägliche Verpflegung zuständig, sondern müssen auch die langfristige Versorgung mit Lebensmitteln planen. Die METEOR ist in der Regel viele Wochen lang unterwegs, und die fünf Kühlräume müssen rechtzeitig gefüllt werden. Jeweils etwa 30 Besatzungsmitglieder und ebenso viele Wissenschaftler, das bedeutet bei einem Vorrat für drei Monate: 1,8 Tonnen Fleisch, 120 Kilo Fisch, jede Menge Lebensmitteln in Gläsern und Konserven. Jeden Tag werden gut sechs Kilo Gemüse, drei bis vier Kilo Käse und Wurst und rund 100 Eier gegessen. Tiefgefrorenes wird per Container aus Deutschland angeliefert, frische Ware über einen örtlichen Schiffshändler regelmäßig in Häfen gekauft.

Den Speiseplan entwickeln die Köche meist erst am Vortag. Nur bei Sturm kann das Angebot mal etwas einfacher ausfallen. Und wie kochen sie bei hohem Wellengang? „Dann nehmen wir die größeren Töpfe und tun etwas weniger rein“, sagt Götze und lacht.

Rainer Götze (oben) in einem der Vorratsräume an Bord der Meteor. Er arbeitet seit 15 Jahren auf Forschungsschiffen.

Peter Wernitz (unten) kam als Matrose in der Binnenschifffahrt zum Kochen und entdeckte später seine Liebe zur Hochsee.
Fotos: P. Spalek, National Geographic

11. November, 19 Uhr

Position: 38 Grad 16 Minuten Nord, 17 Grad 37 Minuten Ost
55 Seemeilen östlich von Kalabrien
Temperaturen: Luft 20,5 Grad C, Wasser: 20,7 Grad C
Wind: 11,4 m/s, Stärke 6 aus Südost

Es dämmerte schon fast, als die letzten Wissenschaftler endlich Ruhe fanden. Die ganze Nacht hindurch hatten sie zunächst Wasserproben aus der Tiefsee genommen, dann Sedimentkerne aus dem Meeresboden in mehr als 1.500 Meter Tiefe gezogen und damit begonnen, alles zu analysieren.

Das Frühstück verpassten viele von ihnen, denn die Bordroutine wird strikt eingehalten. Frühstück von 7.15 bis 8.15 Uhr, Mittagessen von 11.15 bis 12.15, Abendessen eine Stunde lang um 17.15 Uhr. Dazwischen eine Kaffeepause am Vormittag, eine weitere am Nachmittag.

Andreas Wege ist die gute Seele der einen Messe, wo er gemeinsam mit seiner Kollegin Petra Zimmermann für das Wohl der Schiffsführung und der Wissenschaftler sorgt; der Zweite Steward Mario Montevirgen kümmert sich um die weitere Besatzung in deren eigener Messe. Seit 1978 fährt Wege zur See, arbeitete kurz als Kellner an Land und ist seit 16 Jahren auf Forschungsschiffen unterwegs, meist auf der METEOR. Viele Wissenschaftler kennt er schon seit vielen Jahren. „Wir sind wie eine große Familie“, sagt er in sächsischem Dialekt.

Als Erster Steward hat er ein breites Aufgabenfeld: bestellt Getränke für die manchmal mehrmonatigen Reisen, kümmert sich um Wäschebestände und Reinigungsmittel, macht Reinschiff in den Kammern des Führungspersonals, ist für den kleinen Tante-Emma-Laden zuständig und serviert in der Messe, wo er streng darauf achtet, dass die begrenzten Plätze rasch wieder freigegeben werden. Niemand ist so aufmerksam wie er: Kaum sind neue Wissenschaftler an Bord, kennt er schon deren Namen, weiß ebenso um die Vorlieben und Abneigungen wie über Allergien.

Wie in der Messe folgt der Tagesablauf auch anderswo auf der METEOR einem eigenen Rhythmus. Alle vier Stunden wechselt die Wache auf der Brücke, vier Stunden dauert die Schicht der Matrosen. Um 8.30 Uhr planen die Schiffsführung und der Expeditionsleiter den Tag, um 15.30 Uhr tauschen sich die Wissenschaftler im Konferenzraum über die Forschungsergebnisse aus.

Bei beiden Treffen berichtet der Meteorologe über das Wetter. Heute hatte er schlechte Nachrichten: Der Wind frischt schon wieder auf, nachts bis Stärke 8.

10. November, 18 Uhr

Position: 38 Grad 37 Minuten Nord, 17 Grad 10 Minuten Ost
18 Seemeilen südlich von Kap Rizutto
Temperaturen: Luft 19,4 Grad C, Wasser 20,3 Grad Celsius
Wind: 4,9 m/s, Stärke 3 aus Süd

Endlich zahlt sich die Planung aus, und ein bisschen Glück war auch dabei. Dort, wo Geologen der Universität Triest vor einigen Jahren zwei Schlammvulkane entdeckten, stiessen die Wissenschaftler an Bord der METEOR in rund 1.500 Metern Meerestiefe auf eine Methanquelle. Danach hatten sie gesucht. Das Fächerlot des Schiffs zeigte eine Gasfahne an, die etwa 150 Meter hoch vom Meeresboden aufsteigt. Aber wie genau sieht es dort unten aus?

Das Fächerlot gibt nur eine grobe Vorstellung. Auf der Reliefkarte, die die Forscher auf Basis dieser Daten erstellten, sind zwei Erhebungen die Schlammvulkane Venere 1 und Venere 2 zu sehen. Nördlich davon befindet sich die Stelle, wo das Methan austritt. Aber die Auflösung dieser sogenannten bathymetrischen Karte ist nur auf 25 Meter genau, Geländedetails sind nicht zu erkennen. Doch darauf sind die Wissenschaftler angewiesen. Die einzige Möglichkeit: Sie müssen näher ran an den Meeresboden. Dafür haben sie zwei Fahrzeuge: das ferngesteuerte MARUM-QUEST, das in der vergangenen Nacht seinen ersten Tauchgang absolvierte, und das Autonomous Operated Vehicle (AUV) MARUM-SEAL, dessen Einsatz zuvor programmiert werden muss.

Kurz vor neun Uhr heute Morgen. Sonnenschein, nur leichter Wellengang. Anspannung an Deck. Langsam lässt der Schiffskran das knallgelbe AUV ins Wasser, zum ersten Mal auf dieser Expedition. Wird die Technik funktionieren, ist das 5,50 Meter lange, torpedoförmige Tauchgerät richtig getrimmt? Es ist mit einem Fächerlot ausgestattet, das Daten liefert, mit denen der Meeresboden in bis zu 5.000 Metern Tiefe auf einen halben Meter genau dargestellt werden kann.

Bis kurz vor dem Tauchgang haben der Meeresgeologe Gerrit Meinecke und sein Team die Funktionen getestet, jetzt verschwindet das AUV in die Tiefe. Es ist so programmiert, dass es in einer Spirale abtaucht und ein zuvor definiertes Gebiet von etwa vier Quadratkilometern in parallelen Schleifen überfliegt: eine Matratze legt, wie die Wissenschaftler sagen. Dabei wird es stets etwa 80 Meter über dem Meeresgrund bleiben und etwa 50 Kilometer zurücklegen. Nach erfolgter Mission taucht das zwei Millionen Euro teure Gerät wieder auf, um an Bord zurückgeholt zu werden. Es sei denn, dass ein Fehler passiert, Sensoren zum Beispiel einen Wassereinbruch feststellen und das AUV sofort nach oben zurückkehren muss.

„Die Geologie und die Geomorphologie haben mich schon sehr früh interessiert“, sagt Meinecke. Doch es war frustrierend, keine Ahnung davon zu haben, wie es in der Tiefsee aussieht. Als sich die Gelegenheit ergab, am MARUM in Bremen daran mitzuwirken, einen Bereich für Meerestechnik aufzubauen, sagte der heute 55-jährige sofort zu. Und entfaltet nach rund 50 Expeditionen noch immer eine große Begeisterung: „Ich finde es nach wie vor unglaublich spannend, Regionen zu erforschen, wo noch nie jemand gewesen ist.“

Das Tauchfahrzeug MARUM-SEAL auf dem Arbeitsdeck der METEOR.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Gerrit Meinecke gibt per Funk Anweisungen, als das MARUM-SEAL zu Wasser geht.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Das Tauchfahrzeug kurz vor dem Abtauchen in die Tiefsee.
Foto: P. Spalek, National Geographic

9. November, 12 Uhr

Auf der Fahrt ins Seegebiet südlich von Kalabrien

Position: 37 Grad 40 Minuten Nord, 15 Grad 58 Minuten Ost
Temperaturen: Luft: 19,3 Grad, Wasser: 21,2 Grad C
Wind: 1,8 m/s, Stärke 2 aus Süd

Die METEOR ist ein schwimmendes Labor und ein faszinierender technischer Organismus. Ein Dorf, das niemals schläft: Tag und Nacht beobachten Wissenschaftler im Lotraum die Daten des Fächerlots, immerzu wacht ein Offizier auf der Brücke, ohne Pause kontrollieren Techniker die Motoren auf den Maschinendecks.

Das ist Peter Neumanns Reich. Der Leitende Ingenieur, kurz Chief genannt, seit 1975 Seemann, kam 1998 auf dieses Forschungsschiff. Seit dem Jahr 2000 ist er dafür verantwortlich, dass die Technik reibungslos funktioniert. Etwa die vier Dieselgeneratoren, die zusammen rund 5.000 PS leisten und den Strom für zwei elektrische Fahrmotoren produzieren, die die Meteor letztlich antreiben (wobei eine der Dieselmaschinen nur im Notfall angestellt wird). 13.000 bis 14.000 Liter Brennstoff verbraucht dieses Schiff jeden Tag, wenn es mit 12 Knoten, also gut 19 Kilometern pro Stunde, unterwegs ist. Seine insgesamt 450.000 Liter fassenden Tanks erlauben eine Reise von 32 Tagen, ohne zwischendurch zu bunkern. „Aber das reizen wir nie aus“, sagt Neumann.

Der 57-Jährige ist Chef einer guten Handvoll Ingenieure, Schlosser und Elektriker, die man selten sieht. Er kennt die METEOR wie seine Westentasche. Etwa die beiden Systeme, um Seewasser zu Trinkwasser zu machen, eines durch einen Verdampfungsprozess, das andere durch ein Osmoseverfahren. So können jeden Tag bis zu 22 Tonnen sauberes Wasser hergestellt werden, ungefähr doppelt so viel, wie in diesem Zeitraum verbraucht wird. Oder die Kläranlage, die das Schmutzwasser so weit reinigt, dass es bedenkenlos außenbords gepumpt werden kann. Auch die Anlage zur Aufbereitung von Ballastwasser, durch die verhindert wird, das fremde, invasive Arten ins Meer gelangen.

Mit freundlichem Lächeln und Stolz auf dem Gesicht führt Neumann durch den Bauch der METEOR. Es brummt, rattert, dröhnt. Rund 30 Maschinen aller Größen laufen hier zur gleichen Zeit. Der Chief zeigt die Müllverbrennungsanlage, wo der am frühen Morgen gesammelte Restmüll zu einer Handvoll Asche wird. Die Maschine, die den Plastikmüll schreddert und eine andere, die das Glas zerkleinert. Schließlich die Werkstatt, wo die Techniker manchmal auch Maschinenteile auf der Drehbank nachbauen. Etwa dann, wenn unter den rund 100.000 Ersatzteilen in Schränken und Schubladen nicht das richtige dabei ist.

Immer wieder helfen Neumann und seine Kollegen den Wissenschaftlern, Geräte zu reparieren. Ein spezielles Bauteil für den Tauchroboter Quest fiel hingegen nicht in ihren Bereich. Es musste aus den USA nach Catania geschickt werden, wohin wir in der Nacht zurückgefahren sind, um es abzuholen.

Danach wird das Remotely Operated Vehicle (ROV) MARUM-QUEST zum ersten Mal auf dieser Reise zum Meeresboden geschickt: Mit dem Fächerlot haben die Geologen eine Region mit Schlammvulkanen ausfindig gemacht, aus denen Methan entweicht. Das wollen sie sich näher angucken. Die Bedingungen stimmen: Das Meer ist fast glatt, wenig Wind, strahlender Sonnenschein. Gute Stimmung an Bord, wie auch am Abend zuvor bei einer Geburtstagsparty in der Bar. Doch bei Wissenschaftlern wie Technikern steigt die Anspannung. Heute Abend geht es in die Tiefsee.

Der Chief im Maschinenraum: Peter Neumann ist als Leitender Ingenieur dafür verantwortlich, dass die Technik der Meteor reibungslos funktioniert.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Nachtwache: Der Erste Offizier Eberhard Stegmaier auf der Brücke.
Foto: P. Spalek, National Geographic

7. November 2014, 16 Uhr

Position: 38 Grad 18 Minuten N, 17 Grad 40 Minuten Ost
Temperaturen: Luft 18,8 Grad C, Wasser 20,5 Grad C
Wind: 15,7 m/s, Stärke 7 aus Südsüdost

Am frühen Morgen der Blick aus dem Fenster: aufgewühlte See, Schaumkronen, immer wieder schlagen die Wellen direkt unter unserer Kammer an die Bordwand. Windstärke 8 bis 9. Der erste Weg führt auf die Brücke, wo Chief Mate Tilo Birnbaum-Fekete Wache hat. Die METEOR stampft, ihr Bug taucht tief in die Wellentäler, wird auf den nächsten Wellenberg gehoben, taucht wieder ein. Wir fahren mit gedrosseltem Tempo.

An wissenschaftliche Arbeit ist kaum zu denken. Keine Chance, den Tiefseeroboter, das autonome Unterwasserfahrzeug oder den Kranzwasserschöpfer auszusetzen, mit dem die Forscher in verschiedenen Tiefen Wasserproben nehmen wollen. Mehr noch: „Das Achterdeck darf nicht betreten werden“, hat der Chief Mate am Morgen zur Kenntnis gegeben. Zu gefährlich.

Im Lotraum direkt unterhalb der Brücke wird gearbeitet, Tag und Nacht. Von hier erhält die Schiffsführung die Angaben, wie das Forschungsschiff – nautische Sicherheit vorausgesetzt – fahren soll, damit möglichst viele Schlammvulkane vom Fächerecholot erfasst werden. Hier laufen auch die Daten zusammen und werden sogleich ausgewertet. Das Echolot soll vor allem erkennen, wo so genannte Gasfahnen aufsteigen: Methanblasen aus unterseeischen Quellen, von denen man noch nicht vollständig weiß, wie viel dieses Gas vom Meerwasser aufgenommen wird – und in welcher Menge es in die Atmosphäre gelangt, wo es gefährlich zur Erderwärmung beitragen würde.

Die Geologin Miriam Römer sitzt vor einem der 17 Monitore im Lotraum. Auf dem Bildschirm ist ein Dreieck aus verschiedenen Farben zu erkennen, dessen obere Spitze die „Meteor“ darstellt. Von hier aus werden Schallwellen fächerförmig nach unten geschickt. Sie reagieren auf Störungen, die Miriam Römer und die anderen Wissenschaftler mit geschultem Blick auf ihren Bildschirmen erkennen würden – ähnlich wie ein Arzt die schemenhafte Darstellung eines Fötus auf dem Ultraschallbild interpretiert.

Doch kein Hinweis auf eine Gasfahne, die es lohnen würde, an einem der kommenden Tage den Tauchroboter mehr als zwei Kilometer in die Tiefe zu schicken, um die Quelle zu erkunden. Miriam Römer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Viele Expeditionen beginnen so“, sagt die 31-Jährige. „Wir müssen erst einmal prospektieren“. Dabei leuchten ihre Augen. „Da erwacht doch der Forschergeist.“

Windstärke 8 östlich von Catania. Die „Meteor“ trotzt den bis zu fünf Meter holen Wellen.
Foto: P. Spalek, National Geographic

MARUM-Geologin Miriam Römer wertet Daten aus, die das Fächerlot ihr und den anderen Forschern zu Verfügung stellt.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Das Echolot des Schiffs (oben) sendet fächerförmig Schallwellen aus. Von Hindernissen prallen diese wie ein Echo ab und werden aufgezeichnet. Auf diese Weise entstehen solche Grafiken, die Fachleute interpretieren können wie der Arzt ein Ultraschallbild.
Abb.: MARUM

6. November 2014, 17 Uhr

Position: 37 Grad 29 Minuten Nord, 16 Grad 12 Minuten Ost
Temperaturen: Luft 21,8 Grad C, Wasser: 21,1 Grad C
Wind: 12 m/s, Stärke 6 aus Südost
 
Heute Morgen trafen wir die letzten Vorbereitungen für das Auslaufen. Alle Gerätschaften werden fest gelascht, kleine Teile verstaut. Dann wie üblich die Durchsuchung des Schiffs. Gibt es blinde Passagiere, verdächtige Gegenstände? Um kurz vor 9 Uhr ist der Lotse an Bord, um 8.59 Uhr kommt über Walkie-Talkie: „All lines on deck“. Der steife Wind drückt die METEOR von der Kaimauer. Kurs 180, also direkt nach Süden aus dem Hafen, dann in östliche Richtung. Elf Knoten, das sind knapp 20 Kilometer pro Stunde.

Mit ruhiger Stimme gibt Rainer Hammacher seine Kommandos. Ruhrpott-Dialekt. Seit Februar ist er Kapitän dieses Forschungsschiffs, einer, der seinen Job mag. Nach der nautischen Ausbildung und ersten Erfahrungen auf verschiedenen Schiffen hatte er ein Reisebüro in Ratingen, gab es nach mehr als 20 Jahren auf, zog nach Frankreich – und kehrte schließlich zur Seefahrt zurück. Fuhr auf Containerschiffen, transportierte unter anderem Lokomotiven und Transformatoren auf Schwergutschiffen, bis er zu seinem ersten Einsatz als Offizier auf der METEOR kam.

Ein Traumjob. Dieses Schiff, 1986 gebaut und im Grunde ein schwimmendes Labor, strahlt noch eine gewisse Gemütlichkeit aus. In seiner Kammer (braune Wände, grüne Sitzecke, Schreibtisch und zwei Monitore mit Seekarte und aktuellen Schiffs- und Wetterdaten) zählt Hammacher seine Aufgaben auf: Führung des Schiffs und seiner Besatzung, Kommunikation mit Behörden und Agenturen an Land, das Schreiben von Logbuch und Hafenberichten, Unterstützung der Wissenschaftler bei allen Forschungsarbeiten. Ein Manager in Kapitänsuniform.
Und jetzt: später Nachmittag, grauer Himmel, graues Meer. Es wird dunkel, die „Meteor“ schaukelt in der zunehmenden Dünung. Die ersten Wissenschaftler sind seekrank. Wir passieren Schlammvulkane Hunderte Meter unter uns, aber die Wellen sind ohnehin zu hoch, um die beiden Unterwasserfahrzeuge auszusetzen. Immerhin wurde mit der Winde eine Sonde in 1.500 Meter Tiefe abgelassen, um Salzgehalt und Temperatur zu messen. Beides bestimmt die Geschwindigkeit des Schalls im Wasser. Mit den so gewonnenen Daten wird das Fächerecholot kalibriert. Es läuft schon seit einigen Stunden und gibt den Wissenschaftlern Aufschluss über die Beschaffenheit des Meeresbodens.

Heute Abend soll der Wind deutlich zunehmen, der Schiffsmeteorologe spricht von vier bis fünf Meter hohen Wellen. Es dürfte eine unruhige Nacht werden.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Auf der Kommandobrücke: Kapitän Rainer Hammacher ist seit Februar Kapitän der METEOR.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Erste Messung: Mit dieser Sonde werden Salzgehalt und Temperatur des Wasser bis in 1.500 Meter Tiefe gemessen.
Foto: P. Spalek, National Geographic

5. November 2014, 20 Uhr

Position: 37 Grad 29 Minuten Nord, 15 Grad 5 Minuten Ost, Catania
Temperaturen: Luft 21,7 Grad C, Wasser: 21,6 Grad C
Wind: 3,9 m/s

Kaum angekommen, schon Alarm: siebenmal kurz, einmal lang. Mit Rettungsweste auf direktem Weg zur Musterstation. Namen abgefragt – sind alle da? –, dann ins Rettungsboot. Darin: Platz für drei Dutzend Menschen. Es ist eng, heiß. Kaum vorzustellen, im Notfall in diese orangefarbene Tonne umsteigen zu müssen.
Glücklicherweise ist dies nur eine Übung, wie sie am Beginn jeder Fahrt mit der „Meteor“ steht. „Sicherheit ist das zentrale Thema auf allen Schiffen und dieser Drill ein wichtiger Teil der Einweisung“, sagt der Erste Offizier Eberhard Stegmaier. Der 33-jährige studierte Nautiker und gelernte Schiffsmechaniker fährt seit 2010 auf Forschungsschiffen, davor war er auf Containerschiffen und bei der Marine.

Die „Meteor“, 97,5 Meter lang und 16,5 Meter breit, liegt zwischen zwei Großfähren im Hafen von Catania. Inzwischen sind alle an Bord, 30 Wissenschaftler und 33 Besatzungsmitglieder. Die Ausrüstung ist in den Laboren verstaut, die Container mit großem technischem Gerät, darunter der Tauchroboter MARUM-QUEST stehen auf dem Arbeitsdeck. Die Neulinge unter den Wissenschaftlern müssen sich noch orientieren. Rotes Deck, gelbes Deck, grünes Deck. Wo ist der Computertechniker, wo wohnen die Kollegen, und wo ist überhaupt die Messe?

Nichts wird auf Schiffen mehr gefürchtet als Feuer. Wenn wir morgen früh auslaufen, wird uns eher der Seegang zu schaffen machen. Windstärke 8 bis 10 sind angesagt. Schiffsarzt Klaus Rathnow hat uns schon einmal vorbereitet. „Kommt rechtzeitig zu mir, am besten schon, bevor ihr seekrank werdet.“
Foto: P. Spalek, National Geographic

Der Erste Offizier Eberhard Stegmaier zeigt den Wissenschaftlern, wie sie sich im Notfall zu verhalten haben.
Foto: P. Spalek, National Geographic

Foto: P. Spalek, NG
Nur eine Übung: die Wissenschaftler in einem der beiden Rettungsboote.
Foto: P. Spalek, National Geographic