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Logbuch METEOR 114-2

Auf den Spuren der Asphaltvulkane
Forschungsschiff METEOR im Golf von Mexiko

Das Forschungsschiff METEOR ist während seiner 114. Reise auf zwei Fahrtabschnitten (12.2. – 28.3.2014) im Golf von Mexiko im Einsatz. Ziel der Reise ist es, die Entstehung von Asphaltvulkanen in der Bucht von Campeche zu untersuchen, die 2003 in Wassertiefen um 3.000 Meter entdeckt wurden.

In diesem Logbuch berichtet Stephanie von Neuhoff während des zweiten Fahrtabschnitts über das Arbeiten und Leben an Bord der METEOR.

Freitag, 27. März

Unser Bild vom Meeresboden nach 28 Tagen auf See

Wir haben unbekanntes Land betreten. Unterwasser-Land. Sind „gewandert“ auf dem Meeresgrund. Eingetaucht – in verborgene Welten. Insgesamt 100 Stunden und 59 Minuten „geflogen“ über den Meeresboden. 14 Tauchgänge. 3.375 Meter tief war die tiefste Stelle, die wir mit dem Tauchroboter „MARUM-QUEST“ erreichten.

Forschungsschiff METEOR, großes Geolabor, spät in der Nacht: Yann Marcon, Experte für die optische Kartierung des Meeresbodens, legt seinen neuesten DIN A2-Ausdruck auf den Tisch. Stille. Was wir sehen ist zu fantastisch. Der Meeresboden – bis ins kleinste Detail abgebildet. Jeder einzelne Röhrenwurm, jede Muschel, Strukturen, Hügel, tiefe Schluchten, Krater, weite Ebenen – noch einmal wandern wir durch diese atemberaubende Landschaft, erinnern uns an all die bewegenden Momente tief unten im Meer. Alle 15 Sekunden ein Foto, insgesamt rund 24.000 Einzelbilder, aufgenommen während der Tauchgänge, jetzt zusammengesetzt zu dem Mosaik, das vor uns auf dem Tisch liegt. Ein Panorama, das unseren Blick noch einmal in die Tiefe lenkt und festhält, was wir während dieser Expedition alles gesehen haben.

Auf Leinwand gedruckt, wäre diese Karte ein einzigartiges Kunstwerk. Die Betrachter würden vermutlich staunen und fragen: Wer um alles in der Welt hat das gemalt? So zart da hin getupft. So gewaltig im Ausdruck. Und doch ist es „nur“ eine optische Karte, die aber so beeindruckend unser Bild vom Meeresboden ergänzt.

Forschungsschiff METEOR, großes Geolabor, früh am Morgen: Die Daten der beiden Echolotsysteme aus der letzten Nachtschicht sind verarbeitet. Auf dem Tisch liegt eine neue Karte. Die Meeresgeologin Miriam Römer tippt gezielt auf einen bereits eingezeichneten Punkt: „Wir starten hier bei Waypoint 1“. Miriam Römer fährt mit dem Finger eine Linie nach und verweilt an einem markierten Kreis. „Das hier ist ein Gebiet von etwa 200 Metern im Durchmesser. Wir vermuten, dass wir hier die Asphalte und auch die Gasblasen finden werden. Die Echolote haben sie deutlich gezeigt. Sie müssen also da sein“, sagt sie. Die Meeresgeologin bewegt sich so sicher auf der Karte, als kenne sie das Gebiet seit Jahren, hat alle Daten längst verinnerlicht, das Neuland vor dem inneren Auge erschlossen. Kann es nun kaum erwarten, dass der Tauchroboter den Meeresboden erreicht, will all die Daten, all die Karten, die sie mit ihren Kollegen der Hydroakustik-Arbeitsgruppe erstellt, gesichtet und ausgewertet hat, abgleichen mit der Situation vor Ort am Meeresboden.

Insgesamt 3.575 Seemeilen sind wir für das „seafloor mapping“ mit dem Schiff abgefahren. Die Daten haben uns zu Asphaltvulkanen und zu „blubbernden“ Gasfeldern geführt. Wir haben „fluffige“ Bakterienmatten gefunden, blasig-weißes Gashydrat gesehen, in dem sogar der Eiswurm lebt, den zuvor hier noch niemand gesehen hat. Es sind Karten entstanden, so viele, dass es manchmal fast verwunderte, dass Wissenschaftler auch noch per Hand parallel ihre eigene Karte mit dem Bleistift skizzierten. Und man möchte Schatzinsel-Autor Robert Louise Stevenson zustimmen, der einmal geschrieben hat: „Ich höre, dass es Menschen gibt, die sich nichts aus Karten machen, und es fällt mir schwer, das zu glauben.“

Die Karten der „Seafloor Imaging“-Arbeitsgruppe, die nach dieser Fahrt auf dem Tisch liegen, sind so einzigartig und überraschend, dass sie jeden, der bisher eine Karte nur für ein bunt bedrucktes Stück Papier mit Punkten und Strichen gehalten hat, lehren, die hohe Kunst des „mapping“ zu lieben. Bringt man nun alle Karten zusammen, die optische Mosaikkarte, die Bathymetrie aus den Aufzeichnungen des AUV und die „Backscatter“-Karte, die mittels Rückstreuung anzeigt, welche geologischen Gegebenheiten am Meeresboden vorherrschen, ergibt sich ein Bild, das nicht nur ästhetisch zu ausgeschweiften Gedanken-Reisen einlädt, sondern von höchstem wissenschaftlichen Wert ist.

So hat diese Expedition unser Verständnis von den vielfältigen Prozessen am Meeresboden erweitert. Die Daten, die erhoben wurden sind einzigartig und in jeder Hinsicht überraschend. Sie werden die Wissenschaftler noch Monate, in einigen Fällen vielleicht auch Jahre an Land beschäftigen.

P.S.: Karten – nur buntes Papier mit Punkten und Strichen? Nein. „Eine Karte ist mehr als das, sie verzeichnet nicht nur, sie erschließt und schafft Bedeutung, sie ist ein Brückenschlag zwischen hier und dort, zwischen scheinbar unvereinbaren Ideen, die wir nie zuvor im Zusammenhang gesehen haben", schreibt Reif Larsen in seinem Roman „Die Karte meiner Träume“.
Foto: S. von Neuhoff

Fahrtleiter Gerhard Bohrmann, Ian MacDonald, Yann Marcon und Gunter Wegener im Gespräch über den ersten schmalen Streifen des entstehenden Fotomosaiks.

Foto: S. von Neuhoff

Blick in den Hydroakustik-Arbeitsraum: Miriam Römer und Jan Derk-Groeneveld (v.l.) beobachten während der Kartierung die einlaufenden Daten.

Foto: C. Rohleder

Zum Abschied ein Gruppenfoto: Die Wissenschaftler der Expedition M 114 auf dem Forschungsschiff METEOR .

Montag, 23. März

Muscheln in unserer Hand

Auch unter Wissenschaftlern gibt es manchmal Verwirrung. Während der ersten Tauchgänge auf unserer Fahrt angestrengte Blicke auf die Monitore. Wir suchen Muscheln, da wir sie nicht am Strand suchen, sondern in der Tiefsee am Meeresboden, erfordert dies eine gewisse Übung.

Auf unserer Fahrt arbeiten Geologen, Geochemiker und Biologen eng zusammen. Expeditionen mit Forschungsschiffen sind immer interdisziplinär ausgerichtet, die Teams international. Bordsprache ist Englisch. Bei Fahrtteilnehmern aus Mexiko, Amerika, Frankreich, Israel und Deutschland hier an Bord ist das gut, im Fall unserer Muschelsuche doppelt gut, denn die deutsche Sprache kennt nur ein Wort für das Objekt unserer Begierde: Muschel.

Wann immer einer der Forscher vor der großen Leinwand im Universallabor meint, ein Muscheltier identifiziert zu haben, kommt garantiert Widerspruch: „No, it’s a clam not a mussel.“ Ein kleiner, aber feiner Unterschied: Eine „clam“ ist zwar eine Muschel, wandert aber über den Meeresboden, und manchmal sehen wir sogar ihre Spuren im Sediment. Eine „mussel“ dagegen sitzt fest mit anderen ihrer Art auf festem Boden. Doch wovon und wie lebt sie?

Bislang war bekannt, dass Muscheln an Kalten und Heißen Quellen Bakterien in ihren Kiemen haben, die Methan und Schwefelwasserstoff „fressen“. Wissenschaftlich ausgedrückt, fressen sie natürlich nicht, sondern sie oxidieren diese Stoffe und geben der Muschel so die nötige Lebensenergie. Die Muscheln betreiben also Chemosynthese. Eine clevere Überlebensstrategie, denn in der Tiefsee gibt es kein Licht und nur wenig Nahrung. Die „hungrigen Muscheln“ aber sind sehr erfindungsreich. Während der letzten Expedition im Golf von Mexiko vor neun Jahren wurden vier Muscheln für Untersuchungen an das MPI-Bremen gegeben. An Land war die Überraschung groß: Zwei dieser Tiere trugen ein Bakterium in sich, das für diese Art Muschel nicht typisch ist.

Die Muscheln in den Asphaltgebieten scheinen – anders als ihre Artgenossen an den Kalten und Heißen Quellen – eine zusätzliche Energiequelle gefunden zu haben: Aromate. Klingt nach feinem Vanilleduft oder herb-zartem Sandelholz, doch die Aromate, von denen hier die Rede ist, sind alles andere als wohlriechend. Es sind ringförmige, chemisch ungesättigte Kohlenwasserstoffe wie zum Beispiel Benzol. Wenn der Tauchroboter Muscheln und andere Proben, die er mit seinem Greifarm am Meeresboden aufgesammelt hat, abends an Bord bringt, riecht es wie auf einer Tankstelle, manchmal so beißend, dass wir uns nach frischer Luft sehnen.

Schweröl und Asphalte sind nun mal nichts für empfindliche Nasen, zu ätzend die Aromate. Die Muscheln aus dieser Region aber sind vermutlich eine lebenslange Symbiose mit einem Bakterium eingegangen, das auf das Aromat Naphtalen steht, an Land bekannt als Mottenpulver.

Den Nachweis dafür wollen die beiden Biologen Christian Borowski und Maxim Rubin vom MPI-Bremen Nacht für Nacht hier im Labor finden. Wenn wir die beiden morgens mit kleinen, müden Augen in die gerade aufgehende Sonne blinzeln sehen, wollen wir gar nicht fragen, wie viele Muscheln sie während der langen Nachtstunden wieder seziert und inkubiert haben. Doch sie lächeln noch, vielleicht auch weil mittlerweile selbst die ungeübtesten Muschelsucher den feinen Unterschied zwischen „clam“ und „mussel“ begriffen haben und bei den atemberaubenden Flügen über den Meeresboden zielsicher die „richtigen“ Muscheln identifizieren können.

P.S.: „Muscheln in meiner Hand“ heißt übrigens der Weltbestseller von Anne Morrow Lindbergh, Ehefrau des berühmten Piloten Charles A. Lindbergh. Sie verliebte sich im Haus ihres Vaters, einst amerikanischer Botschafter in Mexiko, Hals über Kopf in den berühmten Ozean-Flieger und machte 1930 als erste US-Amerikanerin ihren Flugschein. Eine mutige Frau, hoch geehrt als weibliche Flugpionierin und gefeiert für ihr Buch, in dem wir mit den Muscheln durch die Gezeiten des Lebens und der Liebe treiben. Sie sagte aber auch: „Beim Fliegen hat man Röntgenaugen, man kann der Erde bis auf den Grund sehen.“

Wir – sehen während unserer Expedition dem Meer auf den Grund. Wie hätte sich Anne Morrow Lindbergh wohl gefreut, wenn sie ein „Fluggerät“ wie unser ROV gehabt hätte.

Nachtschicht im Labor: Der Biologe Christian Borowski, MPI-Bremen, seziert eine Tiefseemuschel.

Mit einem kleinen Netz kann der Greifarm des ROV die Muscheln am Meeresboden einsammeln.

Freude über den Fang des Tages: Miriam Römer, Christian Borowski und Maxim Rubin tragen die Muscheln in einem Eimer ins Labor.

Donnerstag, 19. März

Neues aus der Tiefsee

Tag für Tag eine neue Karte. Tag und Nacht ein neues, unbekanntes Ziel. TV-Schlitten ab Mitternacht. Um 5 Uhr in der Früh ein Schwerelot-Kern. 6 Uhr achtern auf dem Arbeitsdeck: Pre-Dive-Check. Zwei Stunden später ist der Tauchroboter startklar. Wir schlafen kaum, arbeiten viel. Zu spannend, was wir in der Tiefsee entdecken.

Octavio Paz, die große Stimme Mexikos, 1990 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt, schreibt: „. . . wenn du die Augen öffnest, werden wir uns erneut bewegen zwischen den Stunden und ihren Erfindungen. Werden uns bewegen zwischen den Erscheinungsbildern, werden der Zeit vertrauen und ihren Verbindungen. Vielleicht werden wir die Türen des Tages öffnen. Dann werden wir das Unbekannte betreten . . .“

Die Augen öffnen, das Unbekannte betreten. 12 Schwerelote, 10 TV-Schlitten, 11 Tauchgänge. Sich finden, suchen, verlieren – im Dickicht von 2 Meter hohen Röhrenwürmern, ein „Wald“ ungeahnten Ausmaßes. Sich hingeben – der Schönheit dieser Welt.

Staunen und spekulieren über bizarr geformte Gebilde, aus denen in ‚Slow Motion’ Öltropfen perlen. „Alien“ ähnlich. Hollywood-Regisseur James Cameron könnte sich das nicht besser ausdenken, doch die Tiefsee schreibt ihr eigenes Drehbuch.

Strukturen erkunden, die so wild bewegt den Meeresboden bedecken. Dicke Ströme Asphalt, beim Kontakt mit dem Wasser in ihrer eruptiven Kraft erstarrt. Gewaltige Gebilde, die erkundet werden wollen.

Die Asphalte – schwer verdaulich, ein Gemisch aus langkettigen Kohlenwasserstoffen mit gebundenem Schwefel, Sauerstoff, Stickstoff und winzigen Spuren anderer Elemente. Zäh wie Kaugummi, weich wie Butter, geschmeidig und biegsam, je nach Alter und Ablagerung manchmal aber auch bröselig – Tiefsee-Teer, vielleicht 1000 Jahre alt. Ungenießbar, eigentlich der absolute Killer – und doch entdecken wir vielfältige „Oasen des Lebens“ auf und in den Asphalten.

Aber wo ist jetzt die Quelle? Wo tritt das Erdöl aus dem Meeresboden aus?

Wir suchen weiter, öffnen unsere Augen Tag und Nacht.

P.S.: Nicht alle Entdeckungen wollen wir hier preisgeben, sie müssen und sollen erst wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Eines können wir aber verraten: Heute haben wir ein Wesen entdeckt, das eine nicht unbeträchtliche Rolle in einem Science Fiction-Thriller spielt und das hier im südlichen Teil des Golfs von Mexiko noch nie zuvor gesichtet wurde.
Foto: MARUM, Universität Bremen

Dicke Asphaltströme am Grund der Campeche-Bucht, Golf von Mexiko.

Foto: MARUM, Universität Bremen

Arbeit am Meeresboden: Mit dem Greifarm des Tauchroboters werden Proben genommen

Foto: S. von Neuhoff

Gerhard Bohrmann, Christian Borowski und Adriana Gaytan-Caballero (v.l.) sichten die "Schätze" aus der Tiefsee.

Foto: S. von Neuhoff

Stück eines Asphaltvulkans bei der Untersuchung im Labor.

Dienstag, 17. März

„Fernweh – Voucher“

Ratingen ist eine beschauliche Stadt am Rande von Düsseldorf. Schicke Autos gibt es da. Wenn der Feierabend kommt, können die Einwohner manchmal auch die schöne Jaguar S-Klasse über die Straße rauschen sehen. Sie machen kaum Geräusche, und wenn Rainer Hammacher ihnen hinterherschaut, sieht er schaukelnde 12-Zylinder-Wohnzimmer, die an seinem Reisebüro vorbeifahren, das er mit seiner Frau betreibt.

Am „Blauen See“ gibt es einen kleinen Freizeitpark mit einem echten Freiluft-Theater. Hier kann er seiner Frau, die aus Frankreich kommt, zeigen, dass Deutschland nicht nur eine NRW-Arbeiterkultur hat, sondern sehr wohl das Spiel mit dem „Licht in einer Kultur“ versteht. Bei Vollmond hält er während eines Spazierganges am See seinen Zeigefinger in die Luft, so als ob die Hand zu einem Sextanten mutiere: „Mal eine Kreuzpeilung vornehmen, sehen, ob ich es noch kann: die Weite fühlen . . .“

In Ratingen gibt es auch noch den „Grünen See“. Hammacher ist längst aufgefallen, dass die Farbe des „Blauen Sees“ grün ist und die Farbe des „Grünen Sees“ blau. Welch’ ein Blödsinn! Und ihm ist aufgefallen, dass er keine „Fernweh-Vouchers“ mehr verkaufen kann. Falsches Glück. Er hasst es, dass er einen Gewerbeschein haben muss und die Steuer wichtiger ist, als das Steuer selbst in die Hand zu nehmen.

Die beiden Tümpel reichen ihm nicht mehr, falsche Farben, falsche Versprechungen, ohne jemals die Welle zu sehen. Als er bei Vollmond wieder einmal eine Kreuzpeilung mit dem traurigen Mond vornimmt, sagt er seiner Frau, er habe genug von diesem „Voucher-Steuer-System“. Kann den Menschen keine Träume mehr verkaufen, die am Ende wie Gasblasen in einer Wassersäule in der Ewigkeit verschwinden. Möchte lieber einen grinsenden Mond auf dem Meer erleben. Seemänner, Männer für die Ozeane, sie wischen nicht im Park ihre Tränen aus dem Gesicht, leben im „Meer der Tränen“, die so unendlich schön, grausam und schmerzend sein können.

1.249.771 Seemeilen hat die METEOR seit ihrer Indienststellung im Jahr 1986 zurückgelegt. 17 Kapitäne führten das Forschungsschiff über die Weltmeere. „Die Zeiten, in denen die Mannschaft zusammenzuckte und stramm stand, wenn sie nur die Schritte des ,Alten’ hörte, sind vorbei“, sagt unser Kapitän Rainer Hammacher.

Die vier goldenen Streifen auf der Schulterklappe beeindrucken noch heute. Tradition. Jeder kann stolz sein auf seine Uniform. Echte Autorität aber, kommt nur von Innen. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Rainer Hammacher hat sie, diese natürliche Autorität, die einem schon im Ansatz den Wind aus den Segeln nimmt. Sein Lachen – entwaffnend. In seinem Blick etwas, dass sich nie ganz fassen lässt. Sagt immer geradeheraus, was er denkt. Klare Ansagen, die wichtig sind auf einem Schiff. Bleibt dabei ruhig und freundlich, erzählt Geschichten, sitzt mit seinen Leuten zusammen, hört zu. Doch jeder hier an Bord weiß, dass seine lockere Art, der offene Umgang mit der Crew, nicht falsch zu verstehen sind. Wenn nötig, kann, ja muss der Kapitän durchgreifen. Und Hammacher kann durchgreifen, hart, aber in der Sache gerecht, stets das Wohl seiner Mannschaft im Blick.

Zweiter Teil des Eintrags: bitte hier klicken

Foto: S. von Neuhoff

Kapitän Rainer Hammacher während der Expedition M 114/2 auf FS METEOR im Golf von Mexiko.

Sonntag, 15. März

Geheimnisvolle Welt

„Cha– po – po – te“ – das Wort muss man sich Silbe für Silbe auf der Zunge zergehen lassen. Keiner an Bord kann es so verheißungsvoll aussprechen wie Adriana Gaytán-Caballero von unserer mexikanischen Partneruniversität. Wann immer die Biologin dieses Wort in den Mund nimmt, weckt sein Klang atemberaubende Bilder: Chapopote – ein geheimnisvoller Ort, verborgen in der Tiefe, dunkel und doch voller Leben, ein rätselhaftes Reich, bevölkert von bizarren Wesen.

Tag 10 unserer Expedition im Golf von Mexiko. Wir nähern uns dem Gebiet, in dem Gerhard Bohrmann und Ian MacDonald mit ihrem Team im November 2003 Asphalt am Meeresboden entdeckten. Es war die 174. Expedition mit dem Forschungsschiff SONNE. Die Wissenschaftler waren auf der Suche nach Gashydraten. Staunen und Rätselraten als der TV-Schlitten vom Meeresboden Bilder von merkwürdigen Strukturen sendete. Gashydrate konnten das nicht sein, da waren sich alle sicher. Doch das, was sie sahen, hatten sie zuvor noch nie gesehen: Der Meeresboden war über weite Gebiete mit Asphalten überzogen, geteert wie eine Straße, allerdings nicht glatt, sondern mit vielfältigen Hügeln und Kratern. Sogar große Büschel von Röhrenwürmern, Muscheln und Tiefseekrabben hatten sich auf dem nährstoffarmen und eher lebensfeindlichen Asphalt angesiedelt.

Den asphaltierten Tiefseehügel nannten die Forscher damals Chapopote, ein atztekisches Wort. Übersetzt bedeutet es schlicht und einfach nur Teer, auch wenn es so schön klingt. Im Jahr 2006 dann eine neue Erkundungsfahrt, diesmal mit dem Forschungsschiff METEOR und dem Tauchroboter MARUM-QUEST. Erstmals konnten die Wissenschaftler die Asphalte sowie die vielfältigen Lebensgemeinschaften in Farbe sehen und mit dem Greifarm des Roboters Proben nehmen.

Wie sieht es heute am Chapopote aus? Hat sich das Gebiet verändert? Werden wir die kleinen Marker wiederfinden, die vor neun Jahren am Meeresboden abgestellt wurden, um besonders interessante Stellen zu kennzeichnen, oder haben die Asphalte sie möglicherweise geschluckt? Alle an Bord fiebern dem Tauchgang entgegen. Mittags, fünf Minuten nach Eins, alle Stühle vor der großen Leinwand im Universallabor sind besetzt. Es ist ein weiter Weg zum Chapopote. Vor gut drei Stunden hat der Tauchroboter seine Reise begonnen. Jetzt sind es nur noch wenige Meter bis zum Meeresboden. Wir sehen bereits die ersten Schatten der Asphalte. In einer Tiefe von 2920,4 Metern stabilisieren die beiden ROV-Piloten das Gerät und beginnen mit dem Flug. Erstes Ziel: Marker Nr. 3

Nicht leicht, in dieser zerklüfteten Landschaft gezielt etwas zu finden. Ein Oktopus kreuzt unseren Weg, einige Seegurken liegen faul im Sediment, Röhrenwürmer wiegen sich sanft in der Strömung. Nach wenigen Minuten sehen wir etwas, das aus der Ferne wie ein Marker aussieht. „Können wir da mal ranzoomen?“ – „Ja, es ist die Drei.“ – „Sieht aus, als ob der gestern da abgestellt wurde und nicht vor neun Jahren. Erstaunlich, keinerlei Bewuchs.“

Die damals untersuchten Gebiete scheinen sich über die Jahre kaum verändert zu haben. Wir passieren einen großen Busch Röhrenwürmer, umgeben von Asphalt, und Fahrtleiter Gerhard Bohrmann sagt verblüfft: „Den habe ich da schon mal gesehen.“ Und tatsächlich stimmt die Szenerie mit den Bildern von der letzten Fahrt überein.

Wir fliegen weiter, finden die restlichen Marker, nehmen Wasserproben, Asphaltbrocken und sammeln Muscheln ein. Als der Tauchroboter abends wieder an Deck steht und ROV-Teamleiter Christian Seiter die große Schublade des Gerätes aufzieht, geht ein Raunen durch die Reihen der Forscher. Die Proben sind zu schön. Einige „blubbern“ noch, und wir können austretendes Gas knistern hören.

Es wird eine lange Nacht mit den „Schätzen“ des Chapopote.
Foto: S. von Neuhoff

Spannung pur: Kaum ist das ROV wieder an Bord werden die Proben vom Meeresboden gesichtet und aus der Schublade genommen.

Foto: S. von Neuhoff

Im Geolabor geht die Arbeit weiter. Freude über erste Asphalte, Röhrenwürmer und kleine Schnecken, die in dem Asphaltbrocken sitzen.

Foto: S. von Neuhoff

Die Biologin Adriana Gaytán-Caballero von unserer mexikanischen Partneruniversität untersucht ihre Proben vom Meeresboden.

Foto: S. von Neuhoff

Lavaähnlicher Asphaltfluß, der einen älteren Meeresboden aus Asphalt überflossen hat. Dazwischen siedeln Bartwürmer.

Mittwoch, 11. März

Unser Fahrtleiter – Immer alles im Blick

In Anzug und Krawatte macht er auf jedem Empfang eine gute Figur. Unermüdlich erklärt er dann den Gästen das Schiff und die Geräte an Bord. Ein Dialog, der über alle Grenzen und Kulturen hinaus verbindet. Unser Fahrtleiter Gerhard Bohrmann weiß, wie er die Menschen für die Meeresforschung begeistern kann, vielleicht auch, weil er sich nach über 40 Expeditionen immer noch selbst vom Meer begeistern lässt. Vielleicht, weil er die Weite des Ozeans in sich trägt, die ihn immer wieder auf neue Ideen bringt.

Der Blick auf die Meeresoberfläche ist schön, für Gerhard Bohrmann aber nur von geringem Interesse, er bewegt sich mit seinem Team lieber am Meeresboden – mit einer Zielsicherheit, die verblüffend ist.

Am Tag nach dem Empfang in Veracruz hängt der Anzug wieder im Schrank, die Fahrtleiterkammer sieht wüst aus. Nicht, weil hier die Party stattgefunden hätte, sondern weil Schreibtisch, Couch und Fußboden mit Zetteln, Karten und dicken Ordnern übersäht sind. Gerhard Bohrmann denkt sich in unser Forschungsgebiet, sichtet alles, was seine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Heiko Sahling auf dem ersten Fahrtabschnitt dieser Expedition erarbeitet hat. Die Karten, zweidimensional auf Papier ausgedruckt, werden vor dem inneren Auge zu Räumen, die der Meeresgeologe im Geiste durchwandert. Unterwasserwelten, die entdeckt werden wollen. Fremdes Terrain, das bisher kein Mensch gesehen hat.

„Gerhard ist noch ein echter Ocean Explorer“, sagt der Amerikaner Ian MacDonald. Mit großer Leidenschaft, mit Spürsinn und vor allem hohem wissenschaftlichen Sachverstand erkunde er die Meere. Im Ausland und in internationalen Gremien hoch geachtet. „Es macht große Freude mit ihm auf Expedition zu sein“, so MacDonald. Als Fahrtleiter habe er stets alles im Blick, vor allem sei er hervorragend organisiert. So viel Lob möchte unser Fahrtleiter gar nicht hören, er ist ein bescheidender, zurückhaltender Mensch, oft mit sich und dem Meer allein und doch für alle hier an Bord da. Interessiert an jedem noch so kleinen Detail. Immer wieder Fragen stellen, Staunen, Wechselwirkungen aufspüren, Zusammenhänge schaffen – und dabei stets nicht nur das Meer, sondern das „System Erde“ im Blick.

An Land manchmal auch einige Stunden ohne Wissenschaft, beim Fußball oder in einem Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, am liebsten wenn Dirigent Paavo Järvi am Pult steht. Sich treiben lassen, in einem Meer aus Musik, mit dem Cello die Welle erwischen, zum Meeresboden tauchen. Kultur und Wissenschaft – für Gerhard Bohrmann zwei Pole, die man manchmal verbinden muss. Neugierig voneinander lernen, sich inspirieren lassen.

Nach einigen Tagen auf See dann der Moment, wo Jeans und T-Shirt neben Anzug und Krawatte in den Schrank gehängt werden und der grüne Arbeitsanzug zum Einsatz kommt. Sieht so aus, als ob dieses Kleidungsstück schon viele Expeditionen mitgemacht hat, verwaschen und ein wenig eingelaufen. Dass die Hosenbeine deswegen mittlerweile etwas zu kurz sind, scheint unseren Fahrtleiter nicht zu stören. Kleidung muss praktisch sein, vor allem auf einem Forschungsschiff. Gerade wollen wir mit dem Schwerelot einen Sedimentkern aus dem Meeresboden ziehen. Eine ziemlich schlammige Angelegenheit. Gerhard Bohrmann ist in seinem Element. Kein Fahrtleiter, der sich hinter dem Schreibtisch vergräbt. Glücklich, wenn er Anpacken kann.

Das Schwerelot kommt wieder an Deck, aber das 6 Meter lange Rohr, dass durch zwei Tonnen Gewicht in den Meeresboden gerammt wird, bringt diesmal nur einen sehr kurzen Sedimentkern an Bord. Eine Lage aus kristallinem Gips hat ein tieferes Eindringen in die Sedimente verhindert. Wir haben den Gipshut eines Salzstocks getroffen, finden im Rohr des Schwerelotes große Gipskristalle und haben den Beweis, dass das Salz in diesem Gebiet an einigen Stellen auch aus dem Meeresboden quellen kann. In seinen 31 Jahren als Meeresgeologe sei ihm so etwas noch nie gelungen, sagt Bohrmann.

Forscherglück am Ende eines langen Tages in der Nacht.

Nachtschicht auf FS METEOR: Das Schwerelot wird eingeholt.

Nachtschicht auf FS METEOR: Das Schwerelot wird eingeholt. Fahrtleiter Gerhard Bohrmann arbeitet Hand in Hand mit der Decksmannschaft.

Spannung: In dem 6 Meter langen Rohr des Schwerelotes steckt der Sedimentkern, den das Gerät aus dem Meeresboden gezogen hat.

Spannung: In dem 6 Meter langen Rohr des Schwerelotes steckt der Sedimentkern, den das Gerät aus dem Meeresboden gezogen hat.

Die Wissenschaftler mit ihrem Sedimentkern im Labor: Gerhard Bohrmann, Markus Loher, Chieh Wei Hsu und Daniel Smerzka (v.l.).

Die Wissenschaftler mit ihrem Sedimentkern im Labor: Gerhard Bohrmann, Markus Loher, Chieh Wei Hsu und Daniel Smerzka (v.l.).

Grobkristalline Gipskristalle im Schwerelot (GeoB19321) des Knoll 2009.

Grobkristalline Gipskristalle im Schwerelot (GeoB19321) des Knoll 2009.

Dienstag, 10. März

Asphalt oder Karbonat?

Im Geolabor ist eine große Leinwand aufgespannt, mehrere Monitore stehen auf dem Tisch davor. Tiefsee-Kino für alle, die gerade nicht im ROV-Container sitzen. Denn dort, in der Steuerzentrale des Tauchroboters, sitzen nur die beiden Piloten und pro Schicht zwei Wissenschaftler. Per Funk sind sie mit ihren Kollegen im Geolabor verbunden.

Am Tisch vor der großen Leinwand setzt die Meeresgeologin Miriam Römer gerade ein Headset auf und bringt das Mikrofon in Position. Gleich wird der Tauchroboter den Meeresboden erreichen. Wir schauen gespannt auf die Tiefenanzeige. Bei 1.205,7 Metern meldet sich Yann Marcon, Experte für die optische Kartierung des Meeresbodens, aus dem ROV-Container: „Okay, we start moving now.“ Der Flug beginnt.

Obwohl unser Roboter in der Tiefsee unterwegs ist, also nicht wie ein Flugzeug durch die Luft fliegt, heißt es tatsächlich „fliegen“, nicht „tauchen“, „schwimmen“ oder „fahren“ hatte mir Christian Seiter, Leiter des ROV-Teams, vor dem ersten Tauchgang noch eindringlich erklärt. Wie ein Flug fühlt es sich dann auch an, wenn das MARUM-QUEST den Meeresboden erkundet. Ein Flug durch eine für uns so fremd anmutende Welt, die doch unsere Welt ist. Ein Flug, der nur möglich ist, weil wir die Technik haben, die uns den Blick in die Tiefe ermöglicht. Ein Flug, der wichtig ist, weil wir besser verstehen wollen, wie das Ökosystem hier im südlichen Teil des Golfs von Mexiko beschaffen ist.

Langsam nähern wir uns einem Muschelfeld. Unser Fahrtleiter meldet sich aus dem ROV-Container: „Wir sollten jetzt über die Hardrocks fliegen und wenn jemand von Euch etwas Lebendes entdeckt, nehmen wir eine Probe.“ Angestrengt halten wir Ausschau. Die Muscheln sind alle tot, ihre Schalen liegen verstreut im Sediment. Die Gegend sieht recht karg aus. Auf einem kleinen Hügel sitzt ein einsamer Tiefseekrebs. Unser US-amerikanische Kollege Ian Mac Donald meint plötzlich, hinter einem der Gesteinsbrocken eine lebende Muschel zu sehen, doch zu schnell entzieht sie sich unserem Blick.

„Wir drehen jetzt und fliegen Richtung Nordwest, so bekommen wir einen besseren Überblick.“ – „Sind das da hinten Asphalte oder ist es das nur Karbonat?“ – „Schwer zu sagen, können wir da mal näher ran?“ – „Das muss das Gebiet sein, dass wir schon auf den Bilder des TV-Schlittens gesehen haben. Wollen wir hier eine Probe nehmen?“ – „Nein, erst einmal weiterfliegen, vielleicht gibt es im Umkreis noch interessantere Strukturen“. „Wo aber sind jetzt die Asphalte? Ich seh’ nur Karbonat.“ – „Nein, das da hinten könnte Asphalt sein“.

Wir drehen, fliegen einen Hang hinauf und immer wieder die Frage: Asphalt oder Karbonat? Der Greifarm des Roboters nimmt Proben, verstaut sie in seiner Schublade, fliegt weiter.

Suchen – Hoffen – Finden.

Abends, die Sonne ist bereits untergegangen, taucht das ROV in einem gewaltigen Strudel von Wasser hinter dem Schiff wieder auf. Seine Scheinwerfer setzen die Szenerie in ein übernatürliches Blau. Mit vereinten Kräften bergen Bootsmann Alexander Wolf und seine Decksmannschaft gemeinsam mit dem ROV-Team das Gerät. Uns beschäftigt nur eine Frage: Was hat der Tauchroboter alles vom Meeresboden mitgebracht? Wir wollen die Proben endlich in den Händen halten.
Foto: S. von Neuhoff

Unser kleines „Tiefsee-Kino“ im Universallabor der METEOR. Hier können wir die Tauchgänge live verfolgen.

Foto: MARUM, Universität Bremen

Blick in die Tiefsee: Ein großer Busch lebender Bartwürmer an einer aktiven Kalten Quelle.

Foto: S. von Neuhoff

Nach einem langen Tag am Meeresboden taucht das Tauchfahrzeug MARUM-QUEST wieder auf.

Sonntag, 8. März

Das Netz muss mit

7 Uhr morgens auf dem Arbeitsdeck, strahlende Sonne, feuchte 24°C. Die See sehr ruhig. METEOR dampft mit 10 Knoten der Position entgegen, an der wir unseren Tauchroboter das erste Mal auf dieser Fahrt aussetzen wollen.

„Dive 351“ steht auf dem Stationsplan. Im wissenschaftlichen Meeting, zu dem sich jeden Nachmittag alle Expeditionsteilnehmer im Konferenzraum des Schiffs versammeln, wird jedes kleine Detail des Tauchgangs geplant. Was wollen, was sollen, vor allem aber, was müssen wir mitnehmen auf unserer Reise zum Meeresboden? Eine gute Planung ist wichtig, denn sind wir erst einmal unterwegs, können wir nicht so schnell zurück.

„Dieser erste Tauchgang ist dafür gedacht, alle Geräte einmal vor Ort zu testen“, sagt Fahrtleiter Gerhard Bohrmann. Die Schublade des ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs MARUM-QUEST (rov= remotely operated vehicle), ist zwar recht groß, doch es will gut durchdacht sein, was wir einpacken. „Brauchen wir ein Netz?“ – „Ja, auf jeden Fall. Wir sollten sowieso immer ein Netz dabei haben.“ – „Wie viele ‚Push Cores’ sind gewünscht? – „Wollt Ihr Eure Kammer mitnehmen?“ – „Der ‚Gasblasen-Sampler’ muss mit.“ – „Ist noch Platz für die „Bio-Box’?“ Es ist fast wie bei einem Familienausflug, jeder hat andere Wünsche und am Ende ist nie genug Platz im Picknickkorb.

Der Einsatz des Tauchroboters ist allerdings alles andere als ein Sonntagsspaziergang; die Verantwortung für das 3,5 Millionen Euro teure Gerät entsprechend hoch. Unser Fahrtleiter hört allen Arbeitsgruppen geduldig zu, weiß aber auch - freundlich und bestimmt - Ordnung in das Wunschkonzert zu bringen. Am Ende liegt ein detaillierter Tauchplan auf dem Tisch. Alle Arbeitsabläufe werden noch einmal minutiös durchgesprochen.

Vorfreude auf die ersten Bilder und Proben vom Meeresgrund. Auf Position 19 Grad, 55.85 Minuten Nord, 94 Grad, 20.85 Minuten West „parkt“ der wachhabende Offizier die METEOR perfekt ein. Der Tauchroboter wird ausgesetzt.
Foto: S. von Neuhoff

Anh Mai, Mitglied des ROV-Teams, bereitet den ersten Tauchgang vor (oben).

Christian Seiter, Leiter des ROV-Teams, wirft einen prüfenden Blick in die Schublade unseres ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs (unten).

Foto: S. von Neuhoff
Foto: S. von Neuhoff

Erster Tauchgang im Golf von Mexiko: Das MARUM-QUEST geht zu Wasser.

Donnerstag, 5. März

Es muss nicht immer Farbe sein

Wenn wir das DFB-Achtelfinale auf einem alten Schwarz-Weiß-Fernseher sehen müssten, gäbe es wohl lange Gesichter. Fußball bitte nur in Farbe, gerne live auf einem großen Flachbildschirm, lieber noch im Stadion. Wünsche, die sich auf See nicht erfüllen lassen.

Eine Live-Übertragung in Schwarz-Weiß kann aber durchaus ihren Reiz haben. 6 Uhr früh auf Position 19° 56’ N, 94° 20’ W. Unser TV-Schlitten tritt seine Reise zum Meeresboden an. Das unscheinbare Stahlgerüst, bestückt mit einer Kamera, Lampen und Telemetrie, ist seit über 30 Jahren in der Meeresforschung im Einsatz und technisch immer weiter entwickelt worden. Das Übertragungsprinzip hat sich nicht geändert: Das analoge Videosignal der Kamera wird durch ein Kabel – auf der Winde hier an Bord der METEOR sind es 8000 Meter - gesendet. Ein weiter Weg. Verwaschene Schwarz-Weiß-Bilder erreichen uns live aus einer Wassertiefe von 1306 Metern – erste Hinweise auf Strukturen am Meeresboden, die für uns interessant sein könnten.

Zusätzlich ist während dieser Expedition eine spezielle „Time Lapse-Kamera“ an dem TV-Schlitten montiert. Die sendet zwar nicht live, aber nach dem Einsatz können wir die Aufnahmen sichten. Braun bis grünliche Sedimente sind zu sehen, Muscheln, vereinzelt Röhrenwürmer, hier und da mal ein Schrimp oder ein kleiner Grenadierfisch sowie einige Oktokorallen auf kleinen Hügeln, die für das ungeübte Auge auf den Schwarz-Weiß-Bildern nicht zu erkennen waren. Alle Aufnahmen werden gesichtet, besonders interessante Stellen markiert – erste mögliche Anflugpunkte für unseren Tauchroboter bei unserer Suche nach den Asphalten.

Gut, nicht immer muss es Farbe sein, aber -zugegeben- jetzt freuen wir uns doch sehr auf die Bilder, die uns das MARUM-QUEST vom Meeresboden senden wird – live und in Farbe, mit seiner Full HD-Kamera. Über die Fußballergebnisse freuen wir uns auch. Sie werden handschriftlich auf einem Zettel eingetragen, der an der Wand im Arbeitsgang hängt. Die Freude hält sich diesmal allerdings in Grenzen. Werder hat gegen Bielefeld verloren.
Foto: Stephanie von Neuhoff

Aussetzen des TV-Schlittens.

Foto: Stephanie von Neuhoff

Der TV-Schlitten wird nach seinem Einsatz wieder geborgen und an Bord geholt.

Foto: Stephanie vonNeuhoff

Frischwasser-Dusche nach dem Einsatz am Meeresboden: Heiko Sahling reinigt den TV-Schlitten.

Sonntag, 1. März

Endlich auf See

Der Lotse kommt pünktlich um 8.30 Uhr an Bord. Es ist Sonntag, aber kein Sonnen-Sonntag. Dichte, graue Wolken verhängen den Himmel.

Zwei Schlepper stehen bereit, falls es im engen Hafenbecken Probleme geben sollte. Wir kommen ohne sie aus. Mit 11 Knoten dampfen wir unserem Arbeitsgebiet entgegen. Der Transit ist kurz, nur 37,5 Seemeilen liegen vor uns. Kurz nach dem Mittagessen haben wir das Arbeitsgebiet bereits erreicht. Die Kartierung des Meeresbodens kann beginnen.

Fächerecholot (EM 122) und Sedimentecholot (Parasound) sind bis weit nach Mitternacht im Einsatz. Die Hydroakustik-Arbeitsgruppe natürlich ebenfalls. Sie werten die Daten aus, suchen unermüdlich nach aufsteigenden Gasblasen und erstellen die Karten, die uns helfen, geeignete Positionen zu finden, an denen wir unseren TV-Schlitten einsetzen können. Anders als der Tauchroboter sendet er „nur“ Schwarz-Weiß-Bilder, bietet aber einen ersten Blick in die Tiefe, um zu entscheiden, welche Strukturen wir am Meeresboden mit dem Tauchroboter genauer untersuchen und beproben wollen.

Der erste Tag auf See. Ankommen. FS METEOR – für die nächsten vier Wochen unsere Heimat. Kapitän Rainer Hammacher heißt uns herzlich Willkommen an Bord. Es folgt die obligatorische Sicherheitsübung, das erste wissenschaftliche Meeting. Der Tag ist getaktet, die Mahlzeiten geben ihm Struktur, rund um die Uhr wird in wechselnden Schichten gearbeitet. Morgen früh um 6 Uhr soll der TV-Schlitten eingesetzt werden. Ian MacDonald und Heiko Sahling bereiten ihn für seine Reise zum Meeresboden vor.

Foto: S. von Neuhoff

Der Lotse geht von Bord. Wir dampfen unserem Arbeitsgebiet entgegen.

Foto: S. von Neuhoff

Wir proben den Ernstfall: Alle Mann an Deck zur obligatorischen Sicherheitsübung am ersten Tag auf See.

Freitag, 27. Februar

Ein Abend für die Meeresforschung

Position 19° 12.54’ N, 96° 08.32’ W, Hafen von Veracruz. Noch zwei Tage bis Expeditionsstart. Emsiges Treiben an Bord. Die Labore müssen eingerichtet, Material verstaut und gut gelascht werden. Fast ein wenig unvorstellbar, dass bei all der Arbeit noch Zeit für einen Empfang an Bord bleibt. Doch wie wichtig es ist, sich diese Zeit zu nehmen, zeigte die Begeisterung unserer Gäste. Ein deutsches Forschungsschiff hatten die meisten noch nie gesehen und einen Tauchroboter schon gar nicht.

„Wir schauen hier jeden Tag auf das Meer, aber bis heute hatte ich keine Vorstellung davon, wie es wohl am Meeresboden in 3000 Metern Tiefe aussieht“, sagte die Honorarkonsulin Erika Rempening, die mit feinem Gespür Menschen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zusammengebracht hatte.

Den Besuch an Bord wollte sich keiner entgehen lassen, entsprechend lang war die Gästeliste. Staunend standen die Mexikaner vor dem MARUM QUEST 4000 und den Bildern, die seine Kameras aus den Tiefen des Golfs von Mexiko senden. „Was Alexander von Humboldt einst begonnen hat, auch hier in Mexiko, setzen Sie mit den modernsten Mitteln der Technik fort“, sagte Werner Schaich, Gesandter der deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt.

Alle mexikanischen Vertreter aus Politik und Wirtschaft betonten, wie wichtig es sei, mehr von einander zu erfahren und freundschaftlich zusammenzuarbeiten.

Am nächsten Morgen ist FS METEOR der „Star“ der TV-Nachrichten und unser Fahrtleiter Gerhard Bohrmann erklärt auf allen Kanälen, was wir in den nächsten vier Wochen erforschen werden. Kommentar des Televisa-Reporters Yves Jacques: „Das ist großartig. Eine einzigartige Mission.“

Foto: S. von Neuhoff

Journalisten bei der Pressekonferenz an Bord

Foto: S. von Neuhoff

Während des Empfangs an Bord der METEOR: Werner Schaich, Gesandter der deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt, Kapitän Rainer Hammacher, Honorarkonsulin Erika Rempening und Fahrtleiter Gerhard Bohrmann vor dem Tauchroboter auf dem Arbeitsdeck.

Donnerstag, 26. Februar

Willkommen in Veracruz!

Wolken am Himmel über Veracruz, leichter Sprühregen, angenehme 19° C. Nach zwei Wochen auf See macht FS METEOR im Hafen von Veracruz fest.

Der erste Fahrtabschnitt der Expedition M 114 unter der Leitung von Heiko Sahling ist beendet. Jetzt übernimmt Gerhard Bohrmann die wissenschaftliche Fahrtleitung. Nach 30 Stunden, verteilt auf drei Fliegern, intensiven Sicherheitskontrollen und langen Wartestunden auf den Flughäfen von London und Mexiko City ist er mit dem ROV-Team in der mexikanischen Hafenstadt gelandet.

METEOR wird für den zweiten Fahrtabschnitt dieser Expedition gerüstet. Wissenschaftliches Gerät, darunter das AUV MARUM SEAL muss von Bord, der Tauchroboter MARUM QUEST 4000 an Deck. Noch stehen die drei QUEST-Container auf der Pier. Hafenarbeiter kommen und gehen.

Kapitän Rainer Hammacher übernimmt das Kommando von Kapitän Michael Schneider. Gerhard Bohrmann bezieht die Fahrtleiterkammer und sichtet die Ergebnisse des ersten Fahrtabschnitts. Unser Arbeitsgebiet im südlichen Teil des Golf von Mexikos ist in den letzten Tagen intensiv kartiert worden, sodass wir den Tauchroboter gezielt einsetzen können, um die Asphaltvulkane im Gebiet der Campeche Knolls zu untersuchen. „Starke Winde und Meeresströmungen haben zwar zeitweilig die geplanten Arbeiten auf dem ersten Fahrtabschnitt behindert, doch am Ende konnten wir gute Ergebnisse erzielen“, so Heiko Sahling.

Gerhard Bohrmann ist begeistert von dem vorliegenden Material: „Fantastische Karten, damit können wir hervorragend arbeiten.“ Noch drei Tage bis Expeditionsstart. Nachmittags ein Besuch der Honorarkonsulin Erika Rempening zur Vorbereitung des geplanten Empfangs an Bord. Gut 100 Gäste, darunter Vertreter der Botschaft, der Gouverneur von Veracruz sowie der Bürgermeister der Kreisstadt, werden erwartet.

Die Mexikaner freuen sich über den Besuch des deutschen Forschungsschiffes. „El Heraldo“, die örtliche Tageszeitung, berichtet mit einem großen Foto auf Seite 1 sowie auf einer weiteren Seite im Innenteil über die Ankunft der METEOR. Für den Nachmittag haben sich weitere Journalisten, Fotografen und Kamerateams angemeldet – alle wollen sie die „Botschafterin des Wissens“ besuchen.

Die Tische im Geolabor sind gedeckt. Wir freuen uns auf unsere mexikanischen Gäste und senden sonnige Grüße in die Heimat.
Foto: S. von Neuhoff

Foto: S. von Neuhoff

Das Forschungsschiff METEOR an der Pier von Veracruz.

Foto: S. von Neuhoff

Beim Auf- und Entladen an der Pier