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AG Hinrichs - Die tiefe marine Biosphäre

Einleitung

In seinem berühmten Buch Reise zum Mittelpunkt der Erde beschreibt Jules Verne vielfältige Lebensformen, denen Professor Lidenbrock und seine Begleiter auf dem Weg in das tiefste Innere unseres Planeten begegnen. Als der Roman 1864 erschien, galt die darin propagierte Idee einer von Licht und Luft abgeschlossenen Lebenswelt als pure Science Fiction, doch wissen wir heute, dass Jules Verne mit seiner Vision in gewisser Weise Recht hatte. Tief unter der Erdoberfläche und dem Meeresboden existiert eine reichhaltige Lebenswelt (Whitman et al., 1998; Parkes et al., 2000; Pedersen, 2000), wenn auch zumeist in Form prokaryontischer Mikroorganismen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. In der Tat beherbergt die tiefe Biosphäre einen enormen Anteil der globalen Biomasse; erste Schätzungen deuten auf 10 - 30% hin (Parkes et al., 1994; Whitman et al., 1998).

Die Entdeckung der tiefen Biosphäre wirft neue, grundlegene Fragen über die Evolution und Verbreitung des Lebens auf der Erde auf. Angesichts der hohen Drücke, der extremen Temperaturen und des Mangels an frischem organischen Material als Energie- und Nährstoffquelle ist die Existenz einer ausgedehnten tiefen Biosphäre äußerst bemerkenswert. "Geotreibstoffe", d.h. energiereiche Gase, die durch Wechslewirkungen zwischen Mineralien und Meerwasser gebildet werden oder aus der tieferen Erdkruste aufsteigen, könnten in der Abwesenheit von Sonnenlicht und Photosynthese alternative Energiequellen sein. Über die einzelnen Bewohner der tiefen Biosphäre, über ihre genetische Vielfalt, ihren Stoffwechsel und ihre Überlebensstrategien ist bisher nur wenig bekannt, und auch die Beziehungen zwischen den Ökosystemen im tiefen Untergrund und denen an der Erdoberfläche bleiben noch zu erforschen.

Die Aktivitäten zur Erforschung der tiefen Biosphäre haben im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. Die AG Hinrichs trägt zu diesem Forschungsfeld mit einem Schwerpunkt auf der Untersuchung des Lebens im tiefen Meeresboden bei.

Zugang zum tiefen Meeresboden: wissenschaftliche Meeresbohrungen

Bei der Erforschung der tiefen Biosphäre spielt die Gewinnung von unverfälschten Proben eine Schlüsselrolle. Die ersten wissenschaftlichen Bohrkerne wurden 1968 im Deep Sea Drilling Project (DSDP) aus dem tiefen Meeresboden geborgen. In den erbohrten Sedimenten legte die chemische Zusammensetzung des Porenwassers schon bald die Vermutung nahe, dass tief im Meeresboden Mikroorganismen mit einem aktiven Stoffwechsel existieren. Echte mikrobiologische Untersuchungen begannen jedoch erst gegen Ende der 1980er Jahre, als in dem auf DSDP folgenden Ocean Drilling Program (ODP) rigorose Kontaminationstest und eine neue Methode zur Erkennung von Mikroorganismen, die sogenannte Acridine Orange Färbemethode, eingeführt wurden, die zusammen eine zuverlässige Bestimmung von mikrobiellen Zellen in Bohrkernen erlauben. Damit zeigte eine Gruppe von Wissenschaftlern um Prof. John Parkes (University of Bristol, UK), dass der Meeresboden selbst in 1 km Tiefe häufig noch mehr als 1 Millionen intakte Zellen pro Milliliter Sediment enthält. Auf die Entdeckung, dass Mikroorganismen tief im Meeresboden weit verbreitet sind, folgte 2002 mit ODP Leg 201 die erste Expedition, die ganz auf die Erforschung der tiefen marinen Biosphäre abzielte. 2004 wurde der tiefen Biosphäre ein eigener Forschungsschwerpunkt gewidmet, als OPD durch das Integrated Ocean Drilling Program (IODP) abgelöst wurde. An IODP beteiligen sich 24 Länder unter US-amerikanischer, japanischer und europäischer Leitung. Bohrkerne, die durch DSDP, ODP und IOPD weltweit gewonnen wurden, werden in drei zentralen Bohrkernlagern aufbewahrt, von denen sich eins im MARUM Gebäude auf dem Campus der Universität Bremen befindet (Bremen Core Repository, BCR).

Wir beschäftigen uns seit etwa einem Jahrzehnt intensiv mit der Erforschung der tiefen Biosphäre. Der Teilnahme von Prof. Kai-Uwe Hinrichs an OPD Leg 201 Microbial communities, Eastern equatorial Pacific and Peru Margin (D’Hondt et al., 2004) folgten mehr als zehn weitere ODP und IODP Expeditionen, an denen Mitglieder der AG Hinrichs auf See und an Land, als Antragsteller und Wissenschaftler teilgenommen haben.

Unser Forschungsansatz

Die Erforschung des Lebens im tiefen Meeresboden ist eine große Herausforderung, nicht nur wegen der aufwendigen und teuren Probenahme sondern auch wegen der geringen biologischen Aktivität in diesem Ökosystem. Durch sie funktionieren auf Kultivierung basierende mikrobiologische und biogeochemische Methoden nur sehr bedingt.

Zweifelsohne ist die erfolgreiche Kultivierung von einzelnen Spezies aus der tiefen Biosphäre ein wichtiges Ziel, doch werden für eine repräsentative Charakterisierung alternative Methoden benötigt. Sowohl die Molekularbiologie als auch die organische Geochemie bieten Methoden, die kein Wachstum von Mikroorganismen im Labor voraussetzen sondern Informationen aus biologischen Molekülen extrahieren, die in situ in der natürlichen Umwelt gebildet wurden. Die Molekularbiologie zielt dabei auf genetische Informationen ab, die in DNA und RNA Molekülen verschlüsselt sind. Durch sie kann man einzelne Arten unterscheiden und einen Einblick in den Bauplan ihres Metabolismus gewinnen. Während die Molekularbiologie sozusagen die Blaupause für das Leben in der tiefen Biosphäre beleuchtet, gibt die organische Geochemie Einblick in die Bausteine, die tatsächlich verwendet werden.

In der AG Hinrichs interessieren wir uns besonders für membranbildende Lipide, für Substrate, Produkte und Metabolite des mikrobiellen Stoffwechsels, sowie für die Prozesse, die die tiefe Biosphäre mit den globalen biogeochemischen Kreisläufen verbinden.
 
Polare Lipide in Zellmembranen sind fragile Moleküle, die nach dem Tod einer Zelle rasch zerfallen. Daher sind intakte polare Lipide (IPLs) Biomarker, die Informationen über lebende Zellen enthalten. Anders als der genetische Code ändert sich die Zusammensetzung der Zell- membran nicht von Art zu Art. Doch produzieren Bakterien und Archaean so deutlich unterschiedliche IPLs, dass einzelne Stämme identifizieren werden können. Wir nutzen qualitative und quantitative Analysen von IPLs, um die Zusammenset- zung mikrobieller Lebensgemeinschaften in der tiefen Biosphäre zu erforschen.

Wir haben IPLs systematisch in bis zu 360 Meter tiefen Sedimenten in verschiedenen Regionen des Weltozeans untersucht. Dabei hat sich nicht nur gezeigt, dass Archaeen im tiefen Meeresboden weit verbreitet sind, sondern auch, dass sie in der tiefen marinen Biosphäre stärker vertreten sind als Bakterien (Lipp et al., 2008; Lipp & Hinrichs, 2009). Ergänzende molekularbiologische Untersuchungen zeigten, dass diese Archaeen fast ausschließlich zu phylogenetischen Linien gehören, die erst vor kurzem im Meeresboden entdeckt und bisher noch nie im Labor kultiviert wurden (Lipp et al., 2008).
Polare Lipide in Zellmembranen sind fragile Moleküle, die nach dem Tod einer Zelle rasch zerfallen. Daher sind intakte polare Lipide (IPLs) Biomarker, die Informationen über lebende Zellen enthalten. Anders als der genetische Code ändert sich die Zusammensetzung der Zell- membran nicht von Art zu Art. Doch produzieren Bakterien und Archaean so deutlich unterschiedliche IPLs, dass einzelne Stämme identifizieren werden können. Wir nutzen qualitative und quantitative Analysen von IPLs, um die Zusammenset- zung mikrobieller Lebensgemeinschaften in der tiefen Biosphäre zu erforschen.

Wir haben IPLs systematisch in bis zu 360 Meter tiefen Sedimenten in verschiedenen Regionen des Weltozeans untersucht. Dabei hat sich nicht nur gezeigt, dass Archaeen im tiefen Meeresboden weit verbreitet sind, sondern auch, dass sie in der tiefen marinen Biosphäre stärker vertreten sind als Bakterien (Lipp et al., 2008; Lipp & Hinrichs, 2009). Ergänzende molekularbiologische Untersuchungen zeigten, dass diese Archaeen fast ausschließlich zu phylogenetischen Linien gehören, die erst vor kurzem im Meeresboden entdeckt und bisher noch nie im Labor kultiviert wurden (Lipp et al., 2008).
Obwohl Bakterien zunächst kaum nachweisbar waren, sahen wir einen bemerkenswerten Anstieg in der Konzentration bakterieller IPLs, als Sedimentproben unter oxischen Bedingungen bei +4°C gelagert wurden. Im Gegensatz dazu blieb die Konzentration von Archaeen IPLs weitgehend konstant (Lin et al., 2010). Diese Beobachtung zeigt deutlich, wie wichtig die richtige Probenbehandlung und –lagerung ist.

Archaeen sind eine kaum verstandene Domäne des Lebens. Sie wurden lange als Exoten angesehen, die nur unter den extremen Bedingungen von heißen Quellen und Salzseen vorkommen. Diese Ansicht ist nun im Wandel begriffen. Die Entdeckung einer von Archaeen dominierten tiefen marinen Biosphäre legt den Schluss nahe, dass Archaeen einen erheblichen Anteil an der globalen Biomasse haben könnten.

Nach dieser Entdeckung wurden die tief im Meeresboden lebenden Archaeen ein Forschungsschwerpunkt in der AG Hinrichs. Mit DARCLIFE haben wir ein Projekt initiiert, um mit einem interdisziplinären Team von WissenschaftlerInnen benthische Archaeen, ihren Kohlenstoffkreislauf, ihre Lebensstrategien und ihre Rolle in sedimentären Ökosystemen zu untersuchen. Dieses Projekt wird gefördert durch einen Advanced Grant des European Research Council (siehe auch “DARCLIFE”).

Organische Metabolite im Porenwasser spiegeln biogeochemische Prozesse in der tiefen Biosphäre wider

Kohlenwasserstoffe: Methan, Ethan, Propan

Methanogenese und anaerobe Oxidation von Methan (AOM) sind Schlüsselprozesse innerhalb des Kohlenstoffkreislaufs im Meeresboden. Nach heutigem Kenntnisstand können beide Prozesse nur von Archaeen durchgeführt werden. Über den Fluss von Methan in die Wassersäule und Atmosphäre verknüpfen Archaeen so die tiefe Biosphäre mit dem Klima.

Da AOM den Austritt von Methan aus dem Sediment reguliert, wurde dieser Prozess bereits intensiv an kalten Quellen untersucht, an denen Methan die Oberfläche des Meeresbodens erreicht. Im globalen Maßstab könnte jedoch AOM in tief begrabenen Sedimenten eine ähnlich bedeutende oder sogar größere Rolle für die Regulierung des Methangehalts der Atmosphäre spielen.

Wir nutzen die natürliche Verteilung von stabilen Kohlenstoffisotopen um das Schicksal von Methan zu untersuchen (siehe auch „Biogeochemische Prozesse“). Da das leichte Kohlenstoff-12-Isotop bei der Methanogenese stark bevorzugt wird, hat Methan aus biologischen Quellen eine charakteristische Isotopenzusammensetzung. Seine Umsetzung durch AOM und seine Aufnahme in die Biomasse können daher durch Analyse des stabilen Kohlenstoffisotopenverhältnisses verfolgt werden. Während wir so in oberflächennahen Sedimenten an kalten Quellen die Aufnahme von Kohlenstoff aus Methan in die Membranlipide von methanotrophen Archaeen zeigen konnten (Elvert et al., 1999; Hinrichs et al., 1999), fanden wir bisher in tiefen AOM Zonen keine Hinweise darauf, dass Archaeen Methan-Kohlenstoff in ihre Zellen einbauen, obwohl AOM in diesem Ökosystem eine wichtige Rolle spielt (Biddle et al., 2006). Darüberhinaus deuten die natürlichen, stabilen Kohlenstoffisotopenverhältnisse in höheren Kohlenwasser- stoffen auch auf die mikrobielle Bildung von Ethan (Ethanogenese) und Propan (Propanogenese) in tief begrabenen aber kalten Sedimenten hin (Hinrichs et al., 2006).

Leichtflüchtige Fettsäuren: Acetat

Wir entwickeln neue Methoden für die Analyse stabiler Kohlenstoffisotope in organischen Stoffwechselprodukten, die im Porewasser vorkommen (Heuer et al., 2006) (siehe auch "Metabolite"). Bisher lag unser Hauptaugenmerk auf leichtflüchtigen Fettsäuren. Diese sind zentrale Intermediate beim Abbau organischer Substanz und wichtige Substrate für Mikroorganismen. Acetat ist besonders interessant, da es nicht nur durch Fermentation frischer und thermische Veränderung fossiler organischer Substanz gebildet wird (Wellsbury et al., 1997) sondern auch durch die Reduktion von Kohlendioxid mit Wasserstoff (Acetogenese). Acetogenese könnte Gase, die durch Wechselwirkungen zwischen Wasser und Gestein entstehen, in organische Substrate überführen, die von einer Vielzahl von Mikroorganismen genutzt werden können (Pederson, 2000).

Unsere Untersuchungen in methanreichen Sedimenten am Kontinentalrand Nordwest-Amerikas (Cascadia Margin, NE Pazifik, IODP Site 1329) zeigen, dass im Porenwasser-Acetat das Verhältnis der stabilen Kohlenstoffisotope stark variiert. Die Isotopengeochemie läßt auf eine diverse, metabolisch aktive tiefe Biosphäre schließen, in der Acetogenese eine wichtige Rolle spielt (Heuer et al., 2009).

Um mehr über biogeochemische Prozesse und die an ihnen beteiligten Organismen zu lernen, kombinieren wir isotopen- geochemische Analysen mit thermodynamischen Berech- nungen und molekularbiologischen Untersuchungen. An der Flanke des Juan de Fuca Rückens (NE Pazifik, IODP Site 1301), fanden wir in der Kohlenstoffisotopenzusammensetzung des Acetats Hinweise auf Acetogenese, während unsere Kollaborationspartner durch Analyse funktioneller Gene die Anwesenheit verschiedener sulfat-reduzierender Proteobakterien, gram-positiver Sulfatreduzierer, und nicht kultivierter Bakterien und Archaeen feststellen konnten, die zu Acetogenese fähig sind (Lever et al., 2010).
Diese Ergebnisse zeigen, dass sich metabolische Prozesse in tief begrabenen Sedimenten deutlich von denen in oberflächennahen Sedimenten unterscheiden.

Ausblick

Mit unseren laufenden Forschungsprojekten möchten wir tiefere Einblick in das Leben in der tiefen Biosphäre und an der Grenze zwischen biologischen und geologischen Prozessen gewinnen. Wir bestimmen die Zusammensetzung und Stoffwechselaktivität tief im Meeresboden. Wir untersuchen Energie- und Nährstoffquellen in diesen Ökosystemen und den Einfluss von Umwelteinflüssen auf die Zusammensetzung ihrer mikrobiellen Gemeinschaften. Wir möchten die Rolle der tiefen Biosphäre im globalen Kohlenstoffkreislauf verstehen, einschließlich ihrer Abhängigkeit von biologischen Prozessen in der Oberflächenwelt, ihrer Wechselwirkungen mit geologischen Prozessen in Sedimenten und ozeanischer Kruste und ihrem Einfluss auf die Chemie der Ozeane und Atmosphäre.