Logo Universitat Bremen

Lehren aus der Vergangenheit: Wie Kaltwasserkorallen auf globale Erwärmung reagieren

07.06.2022
Neue MARUM-Studie: Nahrung und Sauerstoff haben größten Einfluss auf das Überleben
Große Kolonie der Kaltwasserkoralle Lophelia pertusa, die von Seelilien und Weichkorallen in 700 Meter Wassertiefe besiedelt ist (Porcupine Seabight, irischer Kontinentalrand). Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
Große Kolonie der Kaltwasserkoralle Lophelia pertusa, die von Seelilien und Weichkorallen in 700 Meter Wassertiefe besiedelt ist (Porcupine Seabight, irischer Kontinentalrand). Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen

Korallen reagieren auf Veränderungen ihrer Umgebung – das gilt sowohl für tropische wie für Kaltwasserkorallen und schließt zum Beispiel Änderungen von Temperatur, Salzgehalt und pH-Wert ihrer Umgebung ein. Jetzt haben Forschende des MARUM unter der Leitung von Dr. Rodrigo da Costa Portilho-Ramos in einer Studie untersucht, wie sich wärmere Temperaturen im Zuge der Klimaerwärmung auf Kaltwasserkorallen auswirken. Dafür haben sie genauer betrachtet, wie Korallen in den vergangenen 20.000 Jahren auf Umweltveränderungen reagiert haben. Die Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift PLOS Biology erschienen.

Kaltwasserkorallen und hier insbesondere die Art Lophelia pertusa sind Architekten komplexer Riffstrukturen. Sie bilden die Grundlage für wichtige Lebensräume von Tiefseeorganismen, die in diesen Strukturen Schutz, aber auch Nahrung finden. Allerdings reagieren Korallenriffe auch sensibel auf sich ändernde Lebensbedingungen. Dazu gehören etwa die Erwärmung der Ozeane, die Versauerung, der abnehmende Sauerstoffgehalt und auch der variierende Nährstoffzufluss. Ändert sich einer dieser Parameter, zum Beispiel durch den globalen Klimawandel, kann sich das auf die Gesundheit des gesamten Korallenriffs auswirken. Zu verstehen, wie genau diese Ökosysteme auf Umweltveränderungen reagieren, ist daher laut der aktuellen Studie wichtig, um sie künftig besser schützen zu können.

Um die kritischsten Parameter identifizieren zu können, die das Aussterben und Wiederansiedeln von Kaltwasserkorallen auslösen können, haben Erstautor Rodrigo da Costa Portilho-Ramos vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und seine Kolleg:innen Sedimente von sechs Kaltwasserkorallen-Standorten im Nordatlantik und im Mittelmeer untersucht. In solchen Sedimenten sind vergangene Umweltbedingungen gespeichert. Sie ermöglichen es Forschenden herauszufinden, wann und warum sich Kaltwasserkorallen vermehrt haben und wann nicht. Die Ergebnisse, betonten die Autor:innen, würden auch zeigen, wie die Korallen auf künftige klimatische Veränderungen reagieren könnten. Die Studie analysiert Veränderungen der wichtigsten Umweltfaktoren über die vergangenen 20.000 Jahre, den Zeitraum der letzten großen globalen Erwärmung nach der letzten Eiszeit, und vergleicht diese mit dem Auftreten von Kaltwasserkorallen.

"Wir haben in die Vergangenheit geblickt, um zu verstehen, wie Lophelia pertusa auf Umweltveränderungen reagiert hat", fasst Portilho-Ramos zusammen. Die Korallen verschwanden oder kehrten in eine Region meistens dann zurück, wenn sich das Nahrungsangebot für die Korallen oder der Sauerstoffgehalt des Wassers verändert hat. Kaltwasserkorallen ernähren sich von mikroskopisch kleinem Plankton und Partikeln, die mit der Meeresströmung transportiert werden. Wenig Einfluss auf das Absterben und die Vermehrung von Kaltwasserkorallen hatten die Temperatur und der Salzgehalt des Wassers. "Darum gehen wir davon aus, dass vor allem Nahrungszufuhr und die Verfügbarkeit von Sauerstoff die entscheidenden Faktoren sein werden, wenn es um Leben und Tod von Kaltwasserkorallen geht", betont Portilho-Ramos. Unklar ist, wie sich die Ozeanversauerung langfristig auswirkt, da es dazu keine paläozeanographischen Daten gibt.

Als Ökosystem-Ingenieure tragen die Kaltwasserkorallen maßgeblich zur Entstehung von Biodiversitäts-Hotspots in der Tiefsee bei. Mit ihrem Einfluss auf Nahrungsnetze und Nährstoffkreisläufe, mit ihrer Rolle als Fisch-Kindergärten und mit einer beeindruckenden Biodiversität liefern Kaltwasserkorallen-Riffe wichtige Ökosystem-Leistungen. Um diese auch in Zeiten des Klimawandels in der Zukunft erhalten zu können, bilden die Ergebnisse dieser Studie eine wichtige Grundlage, um wissensbasierte Managementstrategien für solche Tiefsee-Ökosysteme zu entwickeln. Damit trägt sie auch maßgeblich zu den Zielen des Bremer Exzellenclusters bei, dass sich der Erforschung des Ozeanbodens widmet.

 

Kontakt:

Dr. Rodrigo da Costa Portilho-Ramos
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
E-Mail: [Bitte aktivieren Sie Javascript], [Bitte aktivieren Sie Javascript]

 

Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.

Originalveröffentlichung:

Rodrigo da Costa Portilho-Ramos, Jürgen Titschack, Claudia Wienberg, Michael Georg Siccha Rojas, Yusuke Yokoyama, Dierk Hebbeln: Major environmental drivers determining life and death of cold-water corals through time. PLOS Biology 2022. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001628

 

Weitere Informationen